Die Zeit nach Lafontaine

Eine linke Mehrheit ist möglich. Daher haben einige junge Linke genug vom Streit zwischen ihren Parteien

„Lafontaine ist nicht links. Er ist bereit, Ausländerfeinden hinterherzulaufen. Er ist ein Helfershelfer der Taliban, dem es egal ist, ob die Leute in Afghanistan gefoltert und unterdrückt werden. Lafontaine ist der Scheinriese der deutschen Politik, wie der Tur-Tur aus der Augsburger Puppenkiste. Je näher man kommt, desto kleiner wird er.“ Sigmar Gabriel über Oskar Lafontaine „Die SPD muss mittlerweile Sozialabbau-Partei Deutschlands genannt werden. Sie steht für die Beraubung der älteren ArbeitnehmerInnen und für die Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegen.“ Oskar Lafontaine über die SPD

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Die Einladung ist schmucklos, sie traf per E-Mail ein. Absender ist Paula Riester, Sprecherin der Grünen Jugend. Die 23-Jährige lädt jüngere Politiker der Grünen, der SPD sowie der Linkspartei zu einer Gesprächsrunde ein. Ihr Ziel: sich kennen lernen, einen unverkrampften Umgang pflegen, nach gemeinsamen Positionen suchen. In dem Schreiben wird ausdrücklich um Vertraulichkeit gebeten.

Die E-Mail ist ein paar Wochen alt, das Treffen soll im Sommer stattfinden. Doch die Jungen kennen das Geschäft. Wird ihre Idee in der Medienöffentlichkeit breit getreten, wird ihrer Runde das Label „Pizza-Connection“ verpasst (unter diesem Namen trafen sich im Bonn der 80er-Jahre junge grüne und christdemokratische Politiker regelmäßig zum lockeren Gespräch), werden ihre nervösen Parteiführungen alarmiert, dann werden sie das Treffen möglicherweise absagen müssen. Sie möchten ja ausdrücklich nicht in den Verdacht geraten, über die Köpfe ihrer Altvordern hinweg an irgendwelchen Bündnissen oder gar rot-rot-grünen Koalitionen zu schmieden. Sie möchten gerade jenseits des vordergründigen politischen Kalküls ins Gespräch kommen und Barrieren abbauen.

Verständlich ist deswegen ihre Vorsicht, als mehrere Teilnehmer der rot-rot-grünen Runde, unter ihnen gestandene Bundespolitiker, Abgeordnete und Vorstandsmitglieder, von der taz auf das geplante Zusammentreffen angesprochen werden. Kein einziger von ihnen möchte seinen Namen in der Zeitung lesen. Sie fürchten den Zorn ihrer Partei- und Fraktionschefs, die alles Mögliche sondieren, Ampelkoalitionen, schwarz-grüne Bündnisse, das ewige Leben in der Opposition – denen jedoch nichts weniger einfällt, als nach Wegen zu suchen, wie die linke Mehrheit in Deutschland aus SPD, Grünen und Linkspartei politikfähig zu machen ist. Und die Jungpolitiker fürchten nicht weniger die zerstörerische Kraft der Medien, die noch jedes vertrauliche Gespräch zum „Geheimtreffen“ mit politischer Brisanz hochjazzen.

Was alles nicht geht zwischen SPD und Linkspartei, konnten sie gerade erst wieder am Wochenende beobachten. Da gab Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion im Bundestag, im Interview der Woche im Deutschlandfunk in gewohnt markigen Worten seine Position zur SPD zum Besten, deren Vorsitzender er mal war. Von „Herrn Müntefering oder anderen Großmäulern“ sprach er da, von „intellektuellen Defiziten“ der heutigen SPD-Führung, von einer „großen Lippe“, die die Herren Beck, Struck und Müntefering riskieren würden. Dieses Dauerfeuer aus Kränkung und Beleidigung wurde auf SPD-Seite umgehend beantwortet. Als „Scheinriesen der deutschen Politik“ bezeichnete Umweltminister Sigmar Gabriel seinen ehemaligen Parteichef, als „Helfershelfer der Taliban“. Und Fraktionsvize Ludwig Stiegler verglich Lafontaine mit dem „gefallenen Engel Luzifer“, er könne „nur noch zerstörerisch wirken“.

Diese albernen Spielchen alter, gekränkter Genossen gehen den Jungen gehörig auf die Nerven. Vor allem, weil sie den nüchternen Blick auf die politischen Realitäten verstellen. In Deutschland gibt es strukturell eine linke Mehrheit, was auch immer man unter „links“ heute verstehen mag. Bei der Bundestagswahl 2005 kamen SPD, Grüne und Linkspartei zusammen auf über 51 Prozent der Stimmen, bei der Bürgerschaftswahl in Bremen im Mai 2007 sogar auf über 61 Prozent. Eine Forsa-Umfrage von vor zehn Tagen sah die drei Parteien sogar bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Februar 2008 bei 51 Prozent. Können jenseits der Lafontaine-Frage daraus politische Dreierbündnisse entstehen? Ist die Zeit dafür reif? Sind rot-rot-grüne Koalitionen wünschenswert? Sind sie zu einer zukunftsorientierten, „linken“ Politik überhaupt in der Lage?

Von den Führungen der drei Parteien werden diese Fragen momentan mit Nein beantwortet. Das ist nicht verwunderlich, schließlich fehlt eine wichtige Voraussetzung für solche Koalitionen: Die Linkspartei will gar nicht regieren. Ihr Erfolg basiert auf ihrer Rolle als sozialer Protestpartei. Regierte sie 2008 in Hamburg oder 2009 im Bund mit, wäre ihr Untergang vorgezeichnet.

Am auffälligsten in der virtuellen rot-rot-grünen Debatte ist trotzdem die kindische Verweigerungshaltung der SPD, ein solches Bündnis überhaupt ins Auge zu fassen, und sei es perspektivisch. Die sozialdemokratische Führung benutzt ständig den angeblich „durchgedrehten“ Lafontaine (SPD-Chef Kurt Beck) als Vorwand für ihr Nein. Als ein kleines Zeichen der Öffnung galt da nach dem Bremer Linkspartei-Erfolg (8,4 Prozent) schon die Formel von Beck, die SPD rede mit den Wählern, aber nicht mit den Funktionären der Linkspartei.

Genau diese ängstliche, beleidigte Haltung wollen die Jungpolitiker überwinden. Sie wollen reden. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.