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„Ein Athlet, der boykottiert, verrät sich selbst“

Olympiasieger Dieter Baumann hält nichts davon, als Reaktion auf Chinas Tibetpolitik von einzelnen Athleten einen Olympia-Boykott zu erwarten. Warum die Verantwortung beim IOC liegt und Sportler sich nach den Wettkämpfen politisch engagieren sollten

DIETER BAUMANN, 42, ist 5.000-Meter- Olympiasieger von Barcelona 1992, Olympia-Zweiter von Seoul 1988 und Olympiavierter von Atlanta 1996. Aktuell trainiert er zwei Olympia-Kandidaten.

taz: Herr Baumann, Sie haben sich beim Fackellauf in München am Wochenende für ein Olympiateam Tibet engagiert. Wozu? Es wird definitiv kein Team Tibet bei Olympia in Peking geben.

Dieter Baumann: Wir wollen Solidarität zeigen mit Tibet. Deshalb der Marsch zum Olympiastadion und die kleine Mahnwache für die toten Tibeter. Es geht auch darum, eine Gesprächsebene für das Team Tibet herzustellen; für Peking und mit Blick auf Olympia 2012.

Würden Sie Peking boykottieren, um gegen die chinesische Unterdrückung Tibets zu protestieren?

Eine schwierige Frage. Im Moment, denke ich: Nein.

Warum nicht?

Der Boykott ist die schlechteste Protestform. Er bringt nur dann etwas, wenn alle mitmachen – ausnahmslos alle. Das ist aber ausgeschlossen.

Das Gewissen …

Das Gewissen des einzelnen Athleten ist ein sehr starkes Argument, und insofern kann es einem Einzelnen etwas bringen. Darüber hinaus aber bringt es für die Sache nichts.

Die Athleten sollen „mündig“ sein.

Jetzt kommen alle und sagen: Na, Athleten, was macht ihr? Damit überfordert man den Athleten. Das Grundproblem ist nicht, was der Athlet jetzt macht, sondern die Vergabe der Spiele nach Peking, verbunden mit der hehren Hoffnung, dass sich dadurch die Verhältnisse in China grundsätzlich ändern.

Haben sie nicht.

Nein, aber das können jetzt nicht die Athleten ausmerzen. Das ist ein typischer Reflex: Wenn man nicht mehr weiterweiß, geht man an den Einzelnen und sagt: Du musst es rausreißen.

Der Deutsche Olympische Sportbund hat gesagt: Wir boykottieren auf keinen Fall, liebe Chinesen.

So könnte man die Botschaft auffassen. Ich drehe es um und sage, die Botschaft richtet sich an unsere Athleten: Seid beruhigt, bereitet euch weiter vor, es ist euer Event, ihr seid dabei. In diesem Kontext ergibt die Botschaft Sinn, und so finde ich sie gut.

Und als Botschaft an Chinas Regierung?

Als Freibrief für die Chinesen ist das schlecht. Ich hätte es auch nicht so früh ausgesprochen. Diplomatie funktioniert eben auch mit Druckmitteln.

Was geht in einem Athleten vor, der vier Jahre trainiert hat?

Vier Jahre? Schauen Sie: Alle Athleten haben mit 16 oder früher ihr Hochleistungstraining begonnen, die haben zehn Jahre trainiert, ihr Studium vernachlässigt, ihre Berufswahl vernachlässigt, womöglich auch den Freundeskreis. Sich einlassen auf Leistungssport, das heißt auch Verzicht. Alles kreist um Olympia. Ich verstehe jeden Athleten, der sagt: Ich boykottiere nicht. Er würde sich selbst verraten und seine Sache. Und wenn der DOSB jetzt boykottieren würde, wäre das auch Verrat an den Athleten.

Ist es scheinheilig, wenn die Sportfunktionäre sagen: Fahrt hin und tut gegebenenfalls vor Ort, was ihr tun müsst?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Sportfunktionär sagen würde: Fahrt hin und protestiert. Das ist erstens nicht erlaubt und wäre zweitens gefährlich.

Die IOC-Charta verbietet politische Äußerungen während der Spiele.

Es droht immer der Ausschluss von Olympia. Athleten riskieren das nicht. Und so ein Wettkampf erfordert höchste Konzentration. Alles, was man sonst macht, limitiert die sportliche Leistungsfähigkeit. Ich kann jedem Athleten nur raten, politische Aktionen nach dem Wettbewerb zu starten. Aber auch das erfordert Vorbereitung und Ablenkung. Ich rate also grundsätzlich ab.

Und nun?

Aus meiner Sicht ist das IOC in dieser Sache bisher völlig untergetaucht. Das kann so nicht sein. Nicht die Athleten sind im Moment gefragt, sondern die Sportorganisationen, allen voran das IOC. Es hat die Macht und die Aufgabe, als Moderator aufzutreten. Das IOC ist eine Sport-, aber auch eine sportpolitische Organisation. Es muss sehr viel mehr tun, um Gespräche herbeizuführen und „Brücken zu bauen“, wie DOSB-Präsident Thomas Bach so schön sagt. Bis jetzt erkenne ich in dieser Richtung noch nichts.

Denken Sie manchmal daran, was es für Sie als Olympiasieger bedeutet hätte, wenn 1992 boykottiert worden wäre?

Es wäre eine Katastrophe gewesen. Ich kenne Athleten, die in Moskau und Los Angeles zu Hause bleiben mussten. Furchtbar. Ich denke, keiner von denen würde einen Boykott befürworten.

Inwiefern nehmen Stützpunktleiter, Bundestrainer, Sportartikelfirmen Einfluss auf den Athleten?

Dieser Einfluss wird überschätzt. Ich glaube nicht, dass ein Olympiastützpunktleiter oder Bundestrainer per Ansprache Vorgaben macht. Dafür reicht die Kompetenz nicht.

Was raten Sie Ihren Athleten?

Ich rate Athleten, von politischen Aktionen Abstand zu nehmen, es sei denn, sie brauchen so etwas für ihr Gewissen. Das ist eine individuelle Entscheidung, die man dann respektieren und schützen muss. INTERVIEW PETER UNFRIED

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