: „Blackmetaldiscos sind choreografisch total interessant“
DER CHOREOGRAF Mit seinen Stücken hat sich Christoph Winkler in der Tanztheaterszene ein internationales Renommee erarbeitet. Was vielleicht auch an der Musik liegt, die er dabei einsetzt. Die darf gern experimentell sein und deftig zur Sache gehen. Ein Gespräch über derben Krach, Techno als Offenbarung und seine Zeit als Klangkrieger
■ Der Mensch: Christoph Winkler wurde 1967 in Torgau in der DDR geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Tänzer an der Staatlichen Ballettschule in Berlin.
■ Die Extreme: 1996 begann Winkler mit seiner Veranstaltungsreihe „Klangkrieg Produktionen“. Das Konzept bestand darin, in möglichst extremer Weise Hörgewohnheiten herauszufordern. In Berliner Spielstätten wie dem verblichenen Bastard und dem ebenfalls nicht mehr existenten Podewil, vor allem aber in dem Jugendclub Insel der Jugend, ließ Winkler Techno- und Gabba-DJs, japanische Noisemusiker und Obertonsänger aufeinanderprallen. Beim „Klangkrieg“ wurde die Idee des postmodernen „Anything goes“ wirklich ernst genommen. Parallel dazu schloss Christoph Winkler ein Studium der Choreografie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ ab. Seit 1998 arbeitet er als freier Tanztheaterchoreograf, eine Zeit lang betrieb er auch das inzwischen wieder eingestellte Musiklabel „Klangkrieg Produktionen“.
■ Der Preis: Christoph Winkler ist heute einer der renommiertesten Choreografen für Tanztheater in Deutschland. Anfang Februar, vom 6. bis 8., ist seine Produktion „Hauptrolle“ in einer Wiederaufnahme im Ballhaus Ost zu sehen. Erst vor Kurzem wurde er für sein Stück „Das wahre Gesicht – Dance is not enough“ mit dem Deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie „Beste Choreografie“ ausgezeichnet.
INTERVIEW ANDREAS HARTMANN FOTO DAVID OLIVEIRA
taz: Herr Winkler, Sie sind Choreograf von Tanztheaterstücken. Ein elementarer Bestandteil des Tanztheaters ist Musik. Wir würde uns gern mit Ihnen unterhalten, welche Bedeutung Musik für Sie und Ihre Arbeit hat.
Christoph Winkler: Das können wir gern machen. Klar, Musik spielt auf den verschiedensten Ebenen eine große Rolle in meinen Stücken, also nicht nur als Atmosphäre, sondern auch als Referenz beispielsweise.
Wie aufwendig ist es, nach der passenden Musik für Ihre Stücke zu fahnden?
Ich bin sozusagen rund um die Uhr damit beschäftigt zu suchen. Ich verbringe enorm viel Zeit damit, Musik zu entdecken. Ich habe zig Freunde, Musiker und Mailinglisten, über die ich ständig etwas Neues bekomme.
Nach welcher Art von Musik suchen Sie genau?
Ich benutze ziemlich spezielle Musik in meinen Stücken. In meinem aktuellen Stück „Hauptrolle“ für einen Solotänzer gibt es beispielsweise Max Loderbauer und Riccardo Villalobos zu hören, die Arvo Pärt remixen, die Band Trümmer aus Hamburg, und Toumani Diabaté, einen Koraspieler aus Mali.
Und es hat genau diese Musik sein müssen?
Sie passt jedenfalls und bringt die Handlung des Stücks voran. Mit meiner für viele Ohren ungewöhnlichen Musik erzähle ich etwas in meinen Stücken und erziele dabei den netten Nebeneffekt, dass sich bei einer Aufführung jedes Mal fünf Zuschauer aus dem Publikum freuen, wenn sie eine ganz spezielle Musik erkennen.
Die Verwendung von avancierter Popmusik, ist das Ihr Markenzeichen?
Atmosphärische Musik im Tanztheater ist bestimmt nichts Ungewöhnliches, bei mir ist es aber halt Tim Hecker, dessen Musik eingesetzt wird. Und der, der sich damit auskennt, sagt dann schon: Hey, Tim Hecker – das ist jetzt aber wirklich cool.
Tim Hecker macht dronigen Ambient. Manches in Ihren Stücken ist aber wirklich schwer verdaulich. Etwa der düstere elektronische Gruftsound von Lustmord, The Legendary Pink Dots oder Chris Carter. Verstehen Ihre oft sehr jungen Tänzer diese Art von Musik?
Bei Kennenlerntreffs läuft es oft so, dass ich neue Tänzer dazu auffordere, ihre Handy-Playlists mitzubringen. Heute haben ja alle Playlists auf ihren iPhones, sie haben keine Ahnung von Musik, aber auf den Playlists sind immer ein paar gute Tracks. Wenn eine Tänzerin dann ihre Playlist anmacht, kommt meist irgendwann eine Riesennummer, die wir beide so richtig gut finden. Ich sage dann: Ja, schön, aber hör mal, das Schlagzeug klingt wie bei Scorn, das ist ja richtig heftiges Zeug, was du da hörst. Dann frag ich: Kennst du Scorn? Nein, kennt sie natürlich nicht. Daraufhin hören wir uns zusammen Scorn an, und so bekommt man über die Musik eine gemeinsame Basis.
Scorn haben lavazähen Industrial-Dub gemacht, echt schwere Klangmaterie.
Einer Tänzerin habe ich auch mal erzählt: Hey, Blackmetaldiscos sind vom Feinsten. In Blackmetaldiscos zu gehen ist in etwa so, wie eine Herde Kühe zu beobachten. Alle haben Lederhosen an und schütteln ihren gesenkten Kopf. Choreografisch ist das total interessant, hat was Rituelles, ist tanztechnisch sehr spannend und hat eine große Kraft. Die Tänzerin kam dann eines Tages zu mir und sagte: Ich war jetzt in einer Blackmetaldisco, und es war der Hammer. Die jungen Leute mit ihren Playlists sind letztlich total offen für Neues.
Wie ging das denn bei Ihnen los mit Ihrer musikalischen Sozialisation?
Schon in dem ostdeutschen Dorf, aus dem ich komme, Torgau, saß ich vorm Radio und habe Can mit dem Kassettenrekorder mitgeschnitten.
Und dann fiel die Mauer und Sie erlebten, wie Techno Berlin veränderte.
Techno war für mich die erste Musikkultur, die ich aus erster Hand erlebte. Abgesehen davon, dass Techno am Anfang auch musikalisch eine ziemliche Offenbarung war, vermittelte er einfach das Gefühl, bei etwas live dabei zu sein. Es formierte sich etwas und wir lasen nicht nur darüber, so wie über die super achtziger Jahre in Berlin mit David Bowie, Blixa Bargeld und dem SO36, sondern wir waren mittendrin im Geschehen.
Als sich die erste Technoeuphorie legte, waren Sie ausgebildeter Balletttänzer, wurden Konzertveranstalter und gründeten ein Label für experimentelle elektronische Musik. „Klangkrieg“, so hießen Ihre Events und das Label, wurde mit regelmäßigen Veranstaltungen in der Maria am Ostbahnhof, vor allem aber in der Insel der Jugend im Treptower Park, Ende der Neunziger in Berlin zu einer Marke für echt krasse Musik, für Gabba, Breakcore und Noise. Die schönen Künste und derber Krach, wie kam es zu dieser Zweigleisigkeit?
Ich hatte eben schon immer ein Herz für Musik, bei der es so richtig rappelt in der Kiste, manchmal muss sich dann auch die Spreu vom Weizen trennen. Ende der Neunziger waren aber auch alle ein wenig müde von den vielen Technopartys und vielleicht dadurch ein wenig offener für Experimente. Uns von „Klangkrieg“ wurde klar: Wir können an einem Abend total unterschiedliche Acts buchen und es funktioniert trotzdem. Das war so ein kleines Zeitfenster, in dem das in dieser Konsequenz möglich war, glaube ich. In der Insel der Jugend veranstalteten wir unsere Partys ja gleich auf drei Etagen. Unten lief Gabba, in der Mitte etwas Experimentelles und oben Ambient oder ich habe „Stalker“ von Andrei Tarkowski gezeigt – in voller Länge.
Aber wie kommt man überhaupt auf die Idee, Indierock auf Breakcore treffen zu lassen oder am selben Abend die Geigen-Avantgardistin Kaffe Matthews und den Gabba-Berserker Panacea auftreten zu lassen?
Ich bin selber immer gern weggegangen, aber die Musik hat mich dabei oft genervt. Wenn du in einen Club gehst, musst du oft ewig warten, bis der erste wirklich gute Track kommt. Und in Indiediscos ist das genauso, es dauert oft ewig, bis dann endlich doch mal die Wipers kommen. Dazu kam, dass ich es musikalisch einfach schon immer vielfältig mochte. Ich wollte vielleicht eine Stunde lang Techno hören, dann ein bisschen Intelligent Dance Music und daraufhin vielleicht noch ein wenig Metal. So eine Mischung hat aber keiner angeboten. Ich habe dann irgendwann damit begonnen, lieber zu Hause Musik für mich und ein paar Freunde aufzulegen. Letztendlich habe ich später dann einfach mein Wohnzimmerprogramm in die Maria und die Insel der Jugend verlegt.
Sie haben am Ende noch ein paar Mal die Abschlussparty der Fuckparade für lauter Speedfreaks organisiert, dann war’s das als Konzertveranstalter, und Ihr Musiklabel haben Sie daraufhin auch eingestellt. Jetzt machen Sie ziemlich erfolgreich nur noch Tanztheater – holt Sie Ihre musikalische Vergangenheit trotzdem noch manchmal ein?
Manchmal kommen noch junge Tänzer zu mir und sagen: Hey, ich habe neulich jemanden getroffen, der meinte, er kenne dich noch von früher und er hat gesagt, du seist damals total cool gewesen.
Die Maria gibt es heute gar nicht mehr, und die Insel ist ein beschaulicher Veranstaltungsort geworden, der heute eher zum Plätzchenbacken und Vogelringebasteln einlädt.
Eine Weile ist das alles schon her, vor allem nach den Maßstäben der schnelllebigen Popkultur. Neulich erst habe ich einer Tänzerin aus Frankreich erzählt, wie das 89 so war in Berlin: Da war die Mauer, dann kam die Wende. Vorher gab es Volkspolizisten, und ein halbes Jahr später kamen die Technokids in Volkspolizeiuniform zum Raven, und Ost und West tanzten sofort zusammen. Die Tänzerin war 20 und damals noch gar nicht geboren. Wenn ich gegenüber so jemandem loslege, ist das wirklich so, als würde Opa vom Krieg erzählen.
Klangkrieg-Konzerte waren herausfordernd und konnten auch mal die Nerven strapazieren. Finden Sie Reste der Klangkrieg-Philosophie noch irgendwo in der aktuellen Clubkultur von Berlin?
Ein bisschen wurde der Spirit von damals trotz der aktuell herrschenden Diktatur von Minimal ins Jetzt gerettet. Die heute extrem erfolgreichen Modeselektor waren früher auch viel bei Klangkrieg-Veranstaltungen, ich habe noch gebrannte CDs von ihnen. Und Andre Jürgens vom Berghain, der dort für die Konzerte verantwortlich ist, kommt auch von der Insel der Jugend und hat für Klangkrieg gearbeitet. Das Berghain hat ja sowieso verstanden, dass sie, wenn sie das noch zehn Jahre weitermachen mit dem Easy Jet, tot sein werden. Also spielen da jetzt die Swans oder The Bug und das Staatsballett kommt auch. All das zusammen, so wie bei uns damals, das gibt es allerdings auch nicht im Berghain. Die Herausforderung wäre ja eigentlich, dass am Samstag in der DJ-Nacht plötzlich das Licht ausgeht, und dann sitzt da jemand und spielt Blockflöte.
Faschismus, Rassismus, Kapitalismuskritik – Sie holen gern derartige Diskursfelder in Ihre Tanztheaterstücke. Kann man sagen: So wie sie schon seit Jahrzehnten nach spezieller und abgefahrener Musik forschen, drängt es Sie auch bei den dramaturgischen Stoffen Ihrer Stücke zu einer eher ungewöhnlichen Herangehensweise?
Mir geht es schon darum zu gucken, wie ich mit Tanz etwas besetzen kann, wo man im ersten Moment nicht draufkommen würde.
So wie beispielsweise auf die Thematik Urheberrecht in Ihrem Stück „Dance! Copy! Right?“
Genau. Oder meine Reihe „Böse Körper“. Im Theater ist die Darstellung des Bösen die Krönung der Kunst, aber im Tanztheater gibt es seltsamerweise keine Bösen. Ich habe dann mal einen Tänzer gefragt: Wollen wir nicht mal was über Adolf Eichmann machen? Der meinte nur, ich sei wohl völlig verrückt. Ich habe dann immerhin „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ über den RAF-Terroristen Andreas Baader inszeniert.
Zum Schluss noch kurz ein weniger erfreuliches Thema: Wie lebt es sich eigentlich als gefeierter Choreograf in der Nischenkultur Tanztheater, wenn man nicht an ein bestimmtes Haus gebunden ist und auf einer freien Basis arbeitet, so wie Sie das tun? Wie ein Rockstar oder eher wie ein Experimentalmusiker?
Man lebt im Prekariat, ganz klar. Altersarmut ist da programmiert. Ich bin innerhalb der Freien Szene noch eher gut gefördert. Aber selbst wenn man zu den gut Geförderten gehört, reicht das natürlich nicht. Es bleibt Prekariat, selbst wenn du im oberen Drittel bist, kriegst du ungefähr das Gehalt eines Schlossers.
Dabei sind Sie inzwischen Choreograf mit einem internationalen Renommee. Zeigt sich beim Tanztheater mal wieder, dass der Kultursenat in Berlin noch nicht richtig verstanden hat, was die Freie Szene bedeutet?
Es gibt immer mehr freie Kollektive im Tanztheater, worauf die Förderung schon auch langsam reagiert, nur bildet sich das noch nicht entsprechend ab. Wer jetzt von der Tanzschule abgeht, geht ja mit großer Wahrscheinlichkeit in die Freie Szene. Die Jungen wollen nicht mehr ans Stadttheater. Ich ja auch nicht, um Gottes willen, was soll ich am Stadttheater?
Vielleicht dem Prekariat entfliehen?
Das vielleicht, aber hoffentlich ändert sich auch so etwas. Ich habe immerhin über 40 Stücke inszeniert. Zig davon wurden zum Stück des Jahres gewählt, das können Sie an kaum einem Stadttheater vorweisen. Ich werde aber immer noch evaluiert, und vor dem Hauptstadtkulturfonds bin ich ein Kandidat wie jeder andere auch. Dass ich immer noch evaluiert werde, das finde ich auch okay, aber ich will, dass das Staatsballett genauso behandelt wird. Stattdessen läuft es bei dem auch einfach so, und am Ende des Jahres gibt es kaum eine Antwort auf die Frage: Und, was habt ihr denn so gemacht, außer dreimal im Berghain zu tanzen? So viele schlechte Kritiken einfahren wie das Staatsballett, das könnte ich mir jedenfalls nicht leisten.