: „Eine neue, musikalische Sprache “
■ Michael Vetter zog mit einem Oberton-Konzert, diesmal in der Kunsthalle, sein Publikum wieder in den Bann des Schlichten / Einblicke in die „Elemetarteilchen der Musik“
Der weiße, kalte Saal der Kunsthalle ist mäßig gefüllt, ein Teil der Zuhörer hat die Augen geschlossen, die sich immer wieder und immer anders wiederholenden Klänge einer Tambura erfüllen den Raum, zwei Stimmen singen dazu - eine mit tiefem Cello-Ton, eine andere einer Flöte gleich. Vorn sitzt auf einem Tuch ein Mann, von dem das alles ausgeht. In der linken Hand hält er die Tambura, mit der Rechten „dirigiert“ er, formt die Töne, aus seiner Kehle kommen beide Stimmen Michael Vetter. Obertöne sind das, was flötengleich seine Stimme hervorbringt, und die Faszination des Publikums Vetter war vor einem knappen Jahr in der Schauburg - ist immer die gleiche. Ganz einfach scheint diese Musik, und in der scheinbaren Schichtheit werden geradezu zärtliche Klangformen deutlich, die unsere konzertant oder popmäßig verbildeten Ohren aufmerken lassen. Seine Musik soll
„Hörerlebnis“ sein, sagt Vetter, „Medium zu meditativer Erfahrung“.
Wie oft gibst Du solche Konzerte?
Michael Vetter: Vielleicht fünfzig im Jahr.
Geht das, nach Konzertplan?
Ich mache im Grunde für mich jeden Tag ein Konzert, ich muß jeden Tag diese Situation haben, das ist wie ein Ritus für mich selbst. Da macht es dann nichts, wenn Publikum dabei ist, das stimuliert sogar noch.
Was die Besucher der Konzerte fasziniert, ist, wie aus einer Kehle zwei Stimmen singen. Gibt es da einen Trick?
Das ist kein Trick, Geigespielen ist ja auch kein Trick. Man muß die phonetische Technik, mit der man spricht, musikalisch entfalten. Die Obertöne sind eine unglaublich differenzierte Skala, viel differenzierter als die Skalen, die in der Musik sonst benutzt werden.
Wie bist Du auf diese Musik ge
kommen?
Aus der Avantgarde der sechziger Jahre. Bei der Auseinandersetzung mit den Urelementen der Töne bin ich auch auf die Obertöne gestoßen.
Wie geht die musikalische Entwicklung weiter? Nach den Experimenten der 60er Jahre die Rückbesinnung auf Ursprüngliches...
Nein, das ist nicht ein Schritt zurück. Es ist ein historischer Fortschritt: Man schaut in die Elementarteilchen der Musik herein. Musik wird nicht mehr nur eine Sache von musikalischen Poeten sein, also Komponisten, sondern auch von musikalisch nicht ausgebildeten Menschen. So wie mit der Sprache nicht nur Dichter umgehen, sondern auch Laien. Ich sehe die Zukunft der Musik darin, daß das Niveau der Improvisation, mit der Stimme vor allem als einem Sprechorgan, ganz aufregende Fortschritte machen wird. Man wird eine neue Sprache entwickeln, das ist die musikalische Sprache.
K.W.
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