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Teutonische Großmachtsucht

Kohls Junctim zur polnischen Westgrenze  ■ K O M M E N T A R E

In den letzten Jahren schien es manchmal, als ob das alte polnische Sprichwort, nach dem in tausend Jahren ein Pole und ein Deutscher nicht Brüder werden könnten, seinen Realitätsgehalt verliere. Jetzt droht die fatale, von kleinlichen Finessen beherrschte Außenpolitik der Kohl -Regierung, unser Verhältnis zu Polen um eine Generation zurückzuwerfen. Umsonst haben Mazowiecki und seine Freunde erklärt, sie wollten der deutschen Einheit keine Hindernisse in den Weg legen, bestünden nur darauf, daß nicht ein weiteres Mal über ihre Köpfe hinweg Schicksal gespielt werde. Umsonst versicherten sie, sie erhöben keine Reparationsansprüche, verlangten nur, daß den polnischen Zwangsarbeitern des Zweiten Weltkrieges Gerechtigkeit widerfahre. Kohls Junctim, eine Erklärung der beiden deutschen Parlamente an einen Vertrag zum Schutz der deutschen Minderheit und an eine Versicherung der Polen zu binden, auch künftig keinerlei Reparationsforderungen anzumelden, vermischt unzulässig und demagogisch Probleme unterschiedlichen Charakters. Die Solidarnosc-Regierung hat durch die Tat bewiesen, daß sie - auch in eigenem, demokratischen Interesse - den Bedürfnissen der deutschen Minderheit nach kultureller Autonomie entgegenkommt. Hier nochmals mit Forderungen aufzutrumpfen, ist die reine, teutonische Großmannsucht. Was den Verzicht auf Reparationen anlangt, hat Polen ihn schon 1953 ausgesprochen.

Entgegen dem Völkerrecht und ohne jedes menschliche Gefühl für die heute von elenden Renten lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter rubriziert die Bundesregierung deren Forderungen unter den Titel Reparationen und erwartet von Mazowiecki, daß er sie fallen lasse. Die logische Konsequenz aus diesem kalten, machtversessenen Maximalismus ist das Erstarken der nationalistischen Positionen in der polnischen Gesellschaft. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, Formen und Stil der Kohlschen Politik zu beklagen, ihm im übrigren aber zuzugestehen, er werde den endgültigen Grenzvertrag unterzeichnen, sobald er den Wahlsieg in der Tasche habe. An der polnischen Westgrenze ist so oder so nicht zu rütteln dafür stehen die Siegermächte der Anti-Hitler-Koalition. Aber wenn wir Kohl jetzt nicht in den Arm fallen, wird in Deutschland wie in Polen über Jahre hinaus ein polarisiertes, von gegenseitigem Haß und Mißtrauen vergiftetes Klima herrschen.

Christian Semler

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