: Chamorro spielt radikalen Flügel an die Wand
Der künftigen nicaraguanischen Präsidentin bereitet die Kabinettsbildung einiges Kopfzerbrechen, denn unter den 14 Mitgliedsparteien des Wahlbündnisses Uno gibt es große Differenzen / Die gemäßigte Fraktion hat vornehmlich Interesse an politischer Stabilität und setzt sich gegen Hardliner durch / Contra-Konflikt weiterhin ungelöst ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Ende des Monats will die künftige Präsidentin Nicaraguas, Violeta Chamorro, ihr Kabinett vorstellen. Die erste konservative Regierungsbildung seit dem Sturz des Diktators Somoza ist jedoch keine leichte Geburt. Für jeden Posten gibt es mindestens drei Bewerber, denn Frau Chamorro liegen drei Kabinettslisten vor, aus denen sie auswählen muß: eine von ihrem eigenen Beraterteam, eine vom Politischen Rat der Uno, in dem alle 14 Parteien und Gruppen vertreten sind, und eine vom mächtigen Privatunternehmerverband COSEP. Die 14 Parteien des einstigen Wahlbündnisses Uno, die jetzt alle im Parlament vertreten sind, haben aber ihre Identität nicht aufgegeben und müssen nun eine künftige Zusammenarbeit neu aushandeln. Sie haben sich jetzt als informelles Bündnis konstituiert, daß den Namen Uno behält - das Kürzel nun als Union Nacional Organizada (Organisiertes Nationales Bündnis). Dennoch sind die Differenzen zwischen einzelnen Bündnispartnern größer, als zwischen einigen Gruppen und der FSLN.
Im Bündnis hat längst ein kleiner Staatsstreich stattgefunden. Sowohl die Verhandlungen mit den Sandinisten für eine geordnete Übergangsphase als auch die Regierungsbildung liegen in der Hand von Violeta Chamorros Beratergruppe und nicht beim Politischen Rat. Ernesto Somarriba, der Chef der rechtslasti gen „Liberal-Konstitutionalistischen Partei“ ( PLC), erklärte zwar in einem Interview, daß der Politische Rat die Schlüsselressorts wie Inneres, Äußeres, Verteidigung, Handel, Industrie, Finanzen und Gesundheit übernehmen werde. Doch deutet alles, was bisher über das künftige Kabinett bekannt ist, darauf hin, daß der radikale Flügel innerhalb der Uno an die Wand gespielt werden soll. Vom Politischen Rat werde sie sich nichts vorschreiben lassen, versicherte die resolute Frau Chamorro. „Leute, die im Exil und bei der Contra gewesen sind, sollen keine Ministerposten bekommen“, deutete Allan Zambrana von der Kommunistischen Partei an. Damit scheiden gefährliche Scharfmacher wie die Christdemokratin Azucena Ferrey oder Roberto Urroz von der „Demokratisch-Nationalen Bewegung“ (MDN) bereits aus. Roberto Urroz, ein ehemaliger Contra-Capo, der erst für den Wahlkampf aus dem Exil zurückgekehrt ist, vertrat auf einer Pressekonferenz die These der Contras, daß eine Demobilisierung nur synchron mit der Entwaffnung der Sandinistischen Armee einhergehen könne. Violeta Chamorro und ihr Team sprechen jedoch von einer bedingungslosen Demobilisierung vor dem 25. April. Auch was die künftige Wirtschaftspolitik betrifft, gibt es grundlegende Differenzen. Wenn es nach Ernesto Somarriba geht, werden alle Staatsbetriebe privatisiert: „Ob sie effizient wirtschaften oder nicht: Sie gehen an die ursprünglichen Eigentümer zurück.“ Die Leute von COSEP sprechen in wesentlich zurückhaltenderen Tönen vom Privatisierungsprogramm. Vielleicht, weil die Wirtschaftsressorts schon in einem Abkommen vor den Wahlen COSEP überlassen wurden. Zwar zählen die Unternehmer nicht zum ausgesprochen gemäßigten Flügel, doch haben sie als Produzenten höchstes Interesse an Stabilität, die nur über tatsächliche oder stillschweigende Abkommen mit den Sandinisten erreicht werden kann. Die sandinistischen Gewerkschaften ihrerseits haben schon die Devise ausgegeben, daß die neue Regierung nicht durch übertriebene Lohnforderungen zerrüttet werden soll. Sicherlich ist das ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen der alten und der neuen Regierung.
Über den Inhalt dieser Gespräche herrscht hermetisches Schweigen. Beide Seiten deuten lediglich an, daß die Dinge bestens vorangingen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, sitzen doch Leute zusammen, die nicht nur durch das Interesse an Stabilität verbunden werden, sondern auch durch die gleiche soziale Herkunft. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als Dona Violeta zu unterstützen“, bestätigt ein hoher Ministerialbeamter, der von einem Pakt innerhalb der Bourgeoisie spricht. Das bleibt dem aufmerksamen Zeitungsleser nicht verborgen, der jeden Tag feststellt, wie das sandinistische Parteiorgan 'Barricada‘ (unter der Leitung des Chamorro-Sohnes Carlos Fernando) die Uno -Vertreter der gemäßigten Linie mit großem Respekt behandelt und ausführlich zu Wort kommen läßt. Andererseits sieht der Kreis um Violeta Chamorro keinen Grund, warum der Generalstabschef Joaquin Cuadra nicht Armeechef werden und warum Comandante Rene Vivas nicht Polizeichef bleiben sollte. Beide stammen aus dem Großbürgertum, und Violeta Chamorro kannte sie schon, als sie noch Kinder waren.
Die Wahrung der Institutionalität von Armee und Innenministerium, die Unverletzbarkeit der Verfassung, die bedingungslose Demobilisierung der Contras - das sind die Eckpfeiler für einen Konsens, der den Frieden retten kann. Der Staatssicherheitsdienst, eine von DDR-Experten ausgebildete, ebenso effiziente wie gefürchtete politische Polizei, soll aufgelöst werden. Im Gegenzug will die Uno nicht protestieren, wenn die vereinbarte Reduzierung der Armee lediglich durch eine „Säuberung von unzuverlässigen Elementen“ erreicht wird und folglich eine größere ideologische Homogenität bekommt.
Das Problem der Contra-Entwaffnung ist immer noch ungelöst, solange die US-Regierung zu keiner eindeutigen Haltung findet. Daniel Ortega glaubte die Frage mit südamerikanischen Staatschefs und mit dem US-Vizepräsidenten Quayle während einer Reise nach Venezuela, Chile und Brasilien geklärt zu haben. Venezuelas Präsident will für die Entwaffnung sogar ein Fallschirmjägerbataillon zur Verfügung stellen. Doch während alle auf eine Demobilisierung noch vor der Amtsübergabe drängen, begann Quayle in Washington erneut von der gleichzeitigen Entwaffnung der Contras und der sandinistischen Armee zu sprechen. Violeta Chamorro, die die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen hat, den Wehrdienst abzuschaffen, wird sich vielleicht bald gezwungen sehen, die Armee gegen widerspenstige Contras einzusetzen.
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