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Für ihn war da kein Widerspruch

Wie der Italiener Giorgio Perlasca 1944 als Spanier in Ungarn Juden rettete. Ein Gespräch mit der Filmemacherin Nina Gladitz  ■ Von Martin Forberg

Am vergangenen Samstag starb Giorgio Perlasca 82jährig in Padua. Sein Name ist zu seinen Lebzeiten hierzulande ziemlich unbekannt geblieben. Diktatoren und Menschenschlächter haben es offenbar leichter, in Erinnerung zu bleiben. Leichter als ein Perlasca, der im Jahre 1944 in Budapest nicht wegschaute, als Adolf Eichmann dort wütete. Durch eine List rettete er das Leben von Tausenden jüdischer Menschen. Er erklärte sich zum spanischen Botschafter, stellte Schutzpässe aus und gab den Bedrohten Unterschlupf in Häusern, die er dem spanischen Hoheitsbereich unterstellt hatte.

Nach dem Krieg blieb Giorgio Perlasca vierzig Jahre lang von der Öffentlichkeit beinahe vergessen. Erst Ende der achtziger Jahre wurde er in mehreren Ländern geehrt: in seiner Heimat Italien, in Israel, in Ungarn und in den USA. Der spanische Botschafter in Rom überreichte eine Auszeichnung, und sein deutscher Kollege suchte Perlasca daheim auf.

Die Filmregisseurin Nina Gladitz arbeitet seit drei Jahren an einer Ehrung besonderer Art: In ihrem semidokumentarischen Film „Perlasca“ spielt dieser sich selbst. Nina Gladitz ist wohl eine der besten KennerInnen des Werkes von Giorgio Perlasca.

Martin Forberg: Frau Gladitz, Sie haben einen Film gedreht über und vor allem mit Giorgio Perlasca. Keinen Dokumentarfilm, sondern einen Spielfilm mit dokumentarischem Hintergrund. Wie kam dieser Mann dahin, als italienischer Staatsangehöriger in Budapest des Jahres 1944 unter dem Wappen Spaniens jüdische Menschen den Klauen des Adolf Eichmann und seiner Häscher zu entwinden?

Nina Gladitz: Perlasca, der im Jahre 1910 in Como geboren wurde, kämpfte von 1936 an auf der Seite Francos im Spanischen Bürgerkrieg. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er auf dem Balkan für eine italienische Im- und Exportfirma, die mit Lebensmitteln handelte. 1941 hatte er in Belgrad persönliche Erfahrungen mit der Bestialität der Nazis gemacht: Die Tochter aus einer jüdischen Familie, bei der er damals wohnte, wurde vor seinen Augen mißhandelt. Zunächst wurde er dann aus zwei Gründen zu einem Ärgernis für die Nazis: einmal aus geschäftlichen Gründen, er hatte es nicht hingenommen, daß von den Deutschen mehrfach Lieferungen seiner Firma auf dem Weg nach Italien in Österreich geraubt wurden. Als es im September 1943 zum Waffenstillstand zwischen der königstreuen italienischen Regierung und den Alliierten kam, mußte der königstreue Perlasca erst recht um seine Sicherheit fürchten. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn im März 1944 durchlebte er Internierung und Untergrund.

Damals hat er noch einmal die spanische Vertretung in Budapest dringend ersucht, ihm für seine Sicherheit einen spanischen Paß auszustellen. Dabei hat er sich auf seine Zeit als Spanien-Kämpfer berufen. Im Sommer 1944 begann die Vertretung Spaniens in Budapest, auf internationalen Druck hin, sich am Schutz jüdischer Menschen in der ungarischen Hauptstadt zu beteiligen. Um diese Zeit herum bekam Perlasca einen spanischen Paß und einen spanischen Vornamen und wurde bald zum Kopf der spanischen Aktionen für die bedrohten Menschen.

Noch bis vor kurzem haben Sie mit Giorgio Perlasca zusammengearbeitet. Wie haben Sie ihn erlebt?

Ich habe ihn kennengelernt als eine sehr eigenwillige Persönlichkeit, als einen Menschen, der sich immer sehr eigene Gedanken gemacht hat über die Dinge, die um ihn herum geschahen, und dann auch danach gehandelt hat. Diese Konsequenz in seinem Handeln hat mich an ihm fasziniert und die Brüche, die Widersprüche in seiner Persönlichkeit.

Zu diesen Widersprüchen gehörte wohl auch, daß er auf der Seite von Franco im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat?

Perlasca war immer sehr erstaunt darüber, daß so viele Journalisten und auch ich davon ausgingen, daß zwischen dem Kampf in Spanien und dem, was er später in Budapest getan hat, nämlich unter Einsatz seines Lebens Juden zu retten, ein Widerspruch bestünde. Für ihn aber war da kein Widerspruch. Er ist in einer königstreuen italienischen Familie aufgewachsen, und wohl auch deswegen hat er sich freiwillig gemeldet, um in Spanien auf der Seite Francos zu kämpfen. Er war dem italienischen König auch treu ergeben, als dieser im Jahre 1943 Frieden mit den Alliierten schloß. Da hat er dann mit den Nazis Schwierigkeiten bekommen.

Also doch ein Antifaschist?

Nein, das wäre wieder ein viel zu einfaches Strickmuster. Er war kein Antifaschist in dem Sinne, wie wir uns das vorstellen. Aber auch kein Freund von Mussolini. Er hat nie verstanden, was eigentlich der Faschismus mit der Verfolgung von Menschen zu tun haben sollte. Mit Sicherheit wäre aus ihm nie, bei aller Verehrung für Franco, ein Anhänger Nazideutschlands geworden. Dennoch war er, so glaube ich, immer noch überzeugt, ein „guter Faschist“ zu sein. Aber das ist immer vor dem italienischen Hintergrund zu sehen, nicht vor dem Hintergrund, den wir haben, wenn wir von unserer Geschichte und dem deutschen Nationalsozialismus ausgehen.

Aber Franquismus in Spanien und Faschismus in Italien hatten doch nun wirklich und tatsächlich auch mit extremer Gewalt und Unterdrückung zu tun.

Das ist natürlich richtig, aber Perlasca hat das immer so gesehen, daß diese Art von Faschismus letztlich in der Hauptsache antikommunistisch war. Er hat mir mal gesagt: „Was willst du denn, jetzt, wo die Sowjetunion zusammengebrochen ist, ist das nicht eine positive Sache? Stell dir mal vor, die Kommunisten hätten in Spanien gesiegt!“

Wie kam denn nun Perlasca dazu, sich zum spanischen Vertreter in Budapest zu erklären? Eine Voraussetzung war doch wohl, daß der eigentliche Geschäftsträger, Sanz Briz, Anfang Dezember 1944 Budapest verließ?

Ja, Sanz Briz fuhr im Dezember 1944. Es war sicherlich kein angenehmer Gedanke für einen Vertreter einer faschistischen Diktatur, wie sie Spanien war, die Rote Armee jeden Tag näher rücken zu sehen. Jüdische Organisationen und die Amerikaner haben im Sommer 1944 Druck auf Spanien ausgeübt, sich — wie die Vertretungen anderer neutraler Staaten — dem Schutz der Juden in Budapest intensiv zu widmen. Sanz Briz hat dies auch getan, wenn auch sicher nicht mit besonders viel Engagement. Man kann aber nicht sagen, daß er es sabotiert hätte. Seine eigene Haut war ihm halt wichtiger, und er hat sich dann nicht mehr so sehr viele Gedanken darum gemacht, was mit den 3.000 Schützlingen passieren sollte, die bis Ende November in von Spanien geschützten Häusern untergebracht worden waren. Schließlich gab es ja Perlasca, der schon seit Ende Oktober mit dem Aufbau der spanischen Schutzorganisation begonnen hatte.

Ab Anfang Dezember 1944 also hatte Perlasca die alleinige Verantwortung?

Ja, und am Tag der Abreise von Sanz Briz begann die erste Razzia in einem von den Spaniern geschützten Haus. Giorgio wurde um Hilfe gerufen, als die Pfeilkreuzler — also die ungarische Variante der Nazis — damit begannen, alle Menschen aus den Stockwerken zu jagen. Er hat sich vor die große gläserne Eingangstür gestellt und abgeschlossen. Er hat den Verantwortlichen verlangt und diesem erklärt: „Ich bin der Nachfolger von Sanz Briz; ich bin jetzt hier der Vertreter Spaniens.“ Die Razzia wurde abgebrochen. Nun konnte er natürlich nicht mehr zurück. Er hat sich dann bei den anderen Vertretern der neutralen Staaten als Nachfolger von Sanz Briz vorgestellt. Man hat seine Version geglaubt.

Er hat doch sicherlich auch mit Raoul Wallenberg zusammengearbeitet.

Wallenberg ist der einzige, den Perlasca ohne Einschränkungen bewundert hat. Im Film geht Perlasca auf das Schicksal von Raoul Wallenberg vor dem Hintergrund der Verhältnisse in der schwedischen Botschaft ein. Er gibt da Erklärungen ab, die völlig neue Aspekte bringen. Das wird mit Sicherheit noch manchen Wirbel verursachen.

Nach dem Ende des Krieges aber wurde Perlasca zu einem Unbekannten. Was sind Ihrer Meinung nach die Hintergründe?

Nach dem Krieg war es für Spanien sehr schwierig, mit jemandem wie Franco an der Spitze wieder hoffähig zu werden auf dem internationalen Parkett. Spanien war ökonomisch in einer fatalen Lage und erhoffte sich eigentlich so etwas wie einen Marshall-Plan von den Amerikanern. Die Rettungsaktionen in Budapest wurden nun als gute Möglichkeit angesehen, positiv auf sich aufmerksam zu machen. Es konnte nun nicht mehr im Interesse von Spanien sein, zuzugeben, daß die Vorfälle in Budapest letztlich von einem italienischen Abenteurer und Menschenfreund verantwortet worden waren. Nun mußte es natürlich ein spanischer Diplomat gewesen sein. Eine zweite Metamorphose begann: Während zuvor Perlasca in die Rolle von Sanz Briz geschlüpft war, präsentierte sich Sanz Briz nun als Perlasca.

Perlasca ist aber schließlich Anerkennung zuteil geworden?

Ja, aber man hat sich verdammt lange Zeit dafür gelassen. Speziell in Deutschland waren die Bemühungen, sich für ihn bei offiziellen Stellen einzusetzen, sehr schwierig. Das ging bis zu einer Bemerkung aus dem Außenministerium, dieser Fall habe nichts mit Deutschland zu tun.

Worauf führen Sie eine solche Haltung zurück?

Es gibt inzwischen eine große Ignoranz gegenüber diesem Thema und allem, was damit zusammenhängt. Aber gerade jetzt ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Was wir jetzt nicht mehr aufbewahren, archivieren, ist ein für allemal verloren. Inzwischen wissen wir ja: Das Problem stirbt nicht mit den alten Nazis und den Ewiggestrigen einfach aus. Diese Leute wachsen ja ständig nach. Und die, die heute schon wieder aktiv sind, das sind ganz junge Leute.

Glauben Sie, daß Sie mit Ihrem Film über Giorgio Perlasca dort hineinwirken können?

Nein, ich habe natürlich nach zwanzig Jahren Filmemachen begriffen, daß man mit einem Film eigentlich gar nichts bewegt. Es ist auch, glaube ich, nicht der Sinn von einem Kunstwerk, große Dinge in Bewegung zu setzen. Man kann sicherlich einzelne Menschen, die offen dafür sind, sensibilisieren. Und was ich für das Wichtigste halte: Man kann einfach etwas aufbewahren, in einer Zeit, wo alles einmal gebraucht und dann weggeworfen wird.

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