: »Ohne Anschleimerei kein Kontakt«
■ Semesterstart an der Hamburger Uni: Studis zwischen Orientierungseinheit und Hektik
Semesterbeginn an der Hamburger Uni: Das Marlboro-Team verlost Stadtpläne für Studienanfänger. „An welchem Strand liegt Hamburgs Perle?“ An der Elbe. Oder muß es Övelgönne heißen? Eine kurze Ablenkung zwischen Kennlernspielen in der Orientierungseinheit (OE) und hektischem Notieren der Studienpläne.
Völlig abgenervt sitzen Sven, Barbara und Kayhan auf den Plastikbänken der Wiwi-Cafeteria, tauschen Namen von Professoren aus, die in „KoLei“ (Kostenleistungsrechnung) erträglich sind. „Dieses Semester wird es richtig fies“, stöhnen die drei im Einklang.
Ab sofort gilt für BWL-Studenten eine neue Studienordnung, die härteste in der BRD: Alle 13 Klausuren müssen in vier Semestern geschrieben werden, wer dreimal durchfällt, darf gehen. In der Matheklausur waren im letzten Semester 80 Prozent durchgefallen. Auch „KoLei“ ist so ein Aussiebefach. „Die Professoren legen nur noch ihre Overhead-Folien auf“, erklärt werde nichts mehr, sagt Barbara. Persönlich kennen sie keinen Professor: „Da müßte man sich schon sehr gezielt anschleimen“. Dennoch wünschen sie allen Erstsemestern viel Glück.
Wie die Ruhe selbst sitzt Wolf-
gang am Campus-Teich, liest in den Studienunterlagen für Soziologie. Die OE sei ja so zum Kennenlernen ganz nett, sagt er, aber trotzdem falle man als Student in ein Vakuum, müsse sich alle wichtigen Informationen über Vorlesungen und Studienplan selbst zusammensuchen. Aus dem Einführungsvortrag für alle Sozialwissenschaftler am Montag wäre er am liebsten sofort wieder rausgerannt. Die Professoren, so sein allererster Eindruck, seien nur darauf aus, sich selbst zu produzieren. Trotzdem kann er sich einen längeren Aufenthalt an der Uni vorstellen — in Kombination mit Taxischein.
Nett, so richtig nett, finden Ute und Manuela ihre OE. Man werde sehr gut betreut, es gehe richtig familiär zu. Auch gefällt ihnen das Flair auf dem Campus, die vielen Ausländer und so. Die beiden Französischstudentinnen haben ihr Fach vor allem wegen des niedrigen NCs gewählt, wollen aller Wahrscheinlichkeit nach wechseln.
Sogenannten Fachwechslern begegnet man dieser Tage auf dem Campus sowieso sehr oft. Teilweise haben sie ursprünglich nicht den Studienplatz erhalten, den sie wollten (Wolfgang würde viel lieber Sozialpädagogik studieren), teilweise sind ihre Fächer aber auch schlicht nicht für alle zugelassenen Studenten studierbar. Jura ist zum
Beispiel ein Fachbereich, der mit 1,7 neben Soziologie (2,0) und BWL (1,9) einen der schlechtesten Curricular-Norm-Werte hat. Hinter der Formel mit dem unaussprechlichen Namen verbirgt sich im Prinzip die gesamte Studienmisere. Sie berechnet die Wochenstunden, die ein Professor für einen Studenten Zeit haben soll. Theoretisch. Die Werte wurden Mitte der 70er Jahre willkürlich festgelegt — bundesweit. Würde Hamburg beispielweise das Geld für 20 Professoren springen lassen, müßten entsprechend mehr Studenten zugelassen werden.
Katrin* hat ihr Jura-Studium in
Freiburg nach vier Semestern geschmissen. Etwas aufgeregt steht sie am Bistro-Tisch im Philturm-Foyer, trinkt schnell noch einen Kakao, bevor sie zur ersten OE-Sitzung geht. Japanologie. Sie fühlt sich ein bißchen wie Falschgeld, denn sie hat noch keinen „richtigen“ Platz, ist „nur“ Gasthörerin, aber die Sprache will sie jetzt umbedingt lernen. Sie war schon mal in Amerika. Mit Japanisch soll man dort „irrsinnig gute Chancen“ haben. Die hohe Abbrecherquote in diesem Fach schreckt sie nicht ab. „Ich schaff das, weil ich es jetzt wirklich will“, sagt die 24jährige. Außerdem hat es sie einfach nach Hamburg gezogen. In die Stadt mit der Elbe, der Perle und dem Strand. Kaija Kutter
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