: „Zukunft hat eine andere Qualität bekommen“
■ 1.Dezember: Welt-Aids-Tag / Ein Gespräch mit fünf HIV-Infizierten über ihren Alltag, die Arbeitswelt, die Mitmenschen
Hektische Flecken blühen an Valerys Hals. Die Stimme zittert stark, Tränen kämpfen sich vor. „Morgen ist der letzte schwere Tag für mich“, sagt Valery. Dann will die 32jährige in der Firma ihren Ausstand geben. Noch ist Valery krankgeschrieben, die Rente ist allerdings beantragt. „Aufgrund einer Erkrankung, die typisch ist“, so erzählt sie distanziert und förmlich, habe man im Krankenhaus vor drei Jahren ihre HIV-Infektion festgestellt: „Positiv.“ Das Ergebnis wurde ihr an den Kopf geknallt. „Ich hatte Selbstmordgedanken.“ Die Infektionen kamen seitdem heftiger und in immer kürzeren Abständen. Zunächst stieg die Buchhalterin und EDV-Fachfrau deshalb um auf eine vier Tage-Woche. Dann entschloß sie sich: „Die Kraft, die ich noch habe, brauch ich für mich.“ Ihrem Chef hat Valery dies auch so gesagt, „aus gesundheitlichen Gründen.“ Er zeigte Verständnis, krank sei schließlich jeder. Doch erschüttert war der Handwerksmeister schon, daß er ihre Krankheit nicht bemerkte. Um welche Krankheit es sich handelt, das hat Valery ihrem Chef jedoch nicht gesagt: „Wenn er morgen da ist, sage ich ihm, was mit mir ist.“ Er könne es vielleicht doch verstehen.
Sie habe gerne in dem Handwerksbetrieb gearbeitet, sagt sie; habe sich anfangs auch mit der Arbeit abgelenkt. Doch nun will sie ihre Zeit, ihre „Restzeit“ wie sie stockend betont, sinnvoller verbringen. Wie weiß Valery allerdings nicht, denn Hobbys habe sie kaum. Immer wieder kreisen ihre Gedanken um den Punkt: „Warum ich? Der Virus & ich, und was kommt morgen?“
Angst vor Ausgrenzung haben die drei Jahre bestimmt, in denen Valery von ihrer HIV-Infektion weiß. In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis weiß niemand von ihrer Krankheit. Noch nicht einmal Mutter und Bruder wissen bescheid. Valery gehört zu keiner Risikogruppe, ist seit acht Jahren nur mit ihrem Mann zusammen, wollte Kinder. Jetzt, so schildert sie ihren Alltag seitdem sie aus dem Erwerbsleben ausgestiegen ist, kapselt sie sich ab, grübelt viel: „Als ich gearbeitet habe, hatte ich noch das Gefühl, gebraucht zu werden.“
Für Valery ist es ein Riesenschritt, sich — wenn auch unter falschem Vornamen — in einem Pressegespräch als HIV-infiziert zu offenbaren. Doch mit Blick auf den Welt-Aids-Tag und im Schutz des Rat&Tat-Zentrums sieht sie darin offenbar eine Chance, aus der Isolation auszubrechen. Mit ihr sitzen am Tisch: Fred (42, seit 1986 über seine HIV-Infektion informiert), Peter (49, „seit 5 Jahren hab ich mein Ergebnis beschieden“), Andreas (27, weiß seit 7 1/2 Jahren sein Ergebnis) und Jens (28, nennt keinen Zeitpunkt: Das Datum scheint ihm nicht wichtig zu sein).
Außer dem Virus haben die fünf vor allem eins gemeinsam: Sie wollen das Schweigen brechen, wollen ihre Mitmenschen und (ehemaligen) Arbeitskollegen zu solidarischem Verhalten aufrufen, dazu, daß mit der Krankheit Aids genau so selbstverständlich umgegangen wird wie mit Krebs. Gerade da haben sie schlimmes erlebt.
Peter z.B. war verheiratet und Abteilungsleiter im Öffentlichen Dienst einer Kleinstadt, als er sein Ergebnis bekam. Ihm riet die Ärztin: „Verschweigen.“ Behandelnde Ärzte und Partner seien die einzigen, die er informieren solle. Doch der damals 44jährige zog auch eine befreundete Familie ins Vertrauen. Ergebnis: Der Freund unterstellte Peter ein Verhältnis mit seiner Frau, warf sie mitsamt der vier kleinen Kinder aus dem Haus. Peter selbst wurde geschieden: „Meine sogenannten Freunde waren gar keine. Ich habe zu keinem mehr Kontakt.“ Aus Angst verließ er die Kleinstadt.
Als er bei einem neuen Arzt einen Fußpilz behandeln ließ und seine HIV-Infektion berichtete, entfuhr dem Arzt: „Positiv? Dann sind Sie schwul.“ Daß derart wertend auf ein Leben geschlossen wird (“quasi aus dem Hinterhalt“), das ärgert Peter maßlos. Verständnis oder Mitgefühl erfuhr er nicht. „Selbst schuld“ hörte er dagegen öfter, und daß er „nur noch ein halber Mann sei“, als er den Schwerbehindertenausweis mit 50 Prozent erhielt. „Durch die Krankheit habe ich alles verloren: die Zukunft, mein Leben, meine Arbeit“, sagt Peter. Ohne die Hilfe einer Psychologin über vier Jahre hinweg hätte er das alles nicht verkraften können. Peter ist Frührentner. Er hat noch ein Viertel bis ein Drittel seines früheren Einkommens.
Auch Fred, 42jährig, ist Frührentner. Er hatte zuvor im Strafvollzug gearbeitet, eine Umschulung hinter sich und zuletzt wegen seiner Krankheit auf einen Halbtagsjob reduziert. Doch mit der Berufsunfähigkeitsrente war er per Tarifvertrag gezwungen, ganz aufzuhören. „Warum dürfen wir nicht teilzeit arbeiten?“ fragt er.
Fred hatte nur seinem Chef von der HIV-Infektion erzählt — weil er für manche Therapiephasen wöchentlich einen freien Tag brauchte. Auch nach sechs Jahren noch fürchtet Fred aber besonders die Nachbarn: „Ich will nicht, daß sie mit dem Finger auf mich zeigen.“ Daß sie dies tun würden, hatte ihm die Reaktion eines Mitschülers gezeigt, mit dem er zwei Jahre lang die Schulbank drückte: „Wenn du Aids hättest, würde ich sofort die Umschulung abbrechen“, hatte er ihm gesagt. Auch Fred hat deshalb eine Phase des Sich-Verkriechens hinter sich. „Mein Leben hat sich in der Zeit der Infizierung grundlegend geändert“, erzählt er, „aber sie ist ein Teil meines Lebens - auch wenn am Ende das Sterben steht.“
Erschüttert schaut Jens (28) die Älteren an: „Ich hab das ganz vergessen, daß es auch andere gibt, mit ganz anderen Erfahrungen als meinen.“ Ihm sei sehr viel Zuneigung entgegengebracht worden, besonders von den Eltern. Immer wieder begegne ihm das: „Warum gerade Du? Du hast das Leben noch vor dir.“
Jens ist Handwerker. Lange war die Arbeit ihm wichtig gewesen. Doch jetzt hat er gerade seine Kündigung provoziert:
hier das "Ich"
„Ich habe alles verloren“Foto: W.Steinberg
„Ich möchte einmal Pause machen. Am liebsten mal in Italien arbeiten.“ Doch dies läßt sich nicht organisieren.
„Positiv sein hat mir Positives gebracht“, sagt Jens. Er gibt sich selbstbewußt, manchmal kämpferisch: HIV habe bewirkt, daß er sein Leben neu organisiert, sinnvoller nutzt. Jetzt gehe er bewußt in jeden neuen Tag, z.B. mit einem Spaziergang. „Vorher war ich hart, verbissen. Jetzt bin ich weicher geworden, auch offener.“ Durch die eigene Offenheit gebe er Leuten die Chance, sich ebenfalls zu öffnen. Jens hat sich der Makrobiotik zugewandt, hat den Leuten, mit denen er kocht von seiner Krankheit erzählt. Er bezieht seine Kraft aus den neuen Erfahrungen. Doch auch er betont: „Allein das Wort Aids bewußt auszusprechen, ist enorm schwierig.“ Mittlerweile habe er aber keine Hemmschwelle mehr.
Andreas ist mit seinen 27 der Jüngste der Runde, doch auch derjenige mit der längsten Zeit
im Bewußtsein der HIV-Infektion: siebeneinhalb Jahre. Auch er bereits in Rente, ohne psychologische Beratung wahrscheinlich längst verzweifelt. Doch auch Andreas demonstriert überzeugend: „Ich lebe positiv, habe Freude am Leben.“ Sein Maßstab: „Erst wenn du im Bett liegst, bist du krank.“
Zukunft hat für Andreas eine andere Qualität bekommen: „Die Zukunft liegt in dem, was wir heute tun, im Hier und Jetzt.“ Dabei entdeckte der gelernte Kaufmann: „Die Arbeit gibt mir nichts.“ Sie habe ihn nur erschöpft, kaputt gemacht. Seitdem er macht, was ihm Spaß macht, fühlt er sich gut. Doch auch Andreas hatte im Büro ein anderes Leiden vorgeschoben: „Ich hatte Angst, daß die Situation sonst für mich unkontrollierbar wird.“ Diese Angst findet er angesichts der Gewalt gegen Minderheiten auch berechtigt: „Es ist ein Wunder, daß wir nicht massiv angegriffen werden.“ Birgitt Rambalski
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