: Ein Quadratmeter Werder-Rasen auf den Markt
■ Die Bremer Befragung von Jochen Gerz auf der Suche nach einem Kunstwerk für den Öffentlichen Raum
Verpflanzung von einem Quadratmeter Werder-Bremen-Rasen auf den Marktplatz. Punkt. Kurz und knapp steht der Vorschlag auf dem Fragebogen, ein Vorschlag zur Kunst im öffentlichen Raum. So konkret und mit solch direktem Bezug zu Bremen sind nur wenige Vorschläge. Die Idee wird begierig aufgenommen, hin- und hergewendet und weiterentwickelt bis hin zur Perversion eines „mobilen Kunstwerks“ per Rollrasen.
Ca. 40 Menschen sitzen sich diskutierend in der Kunsthochschule gegenüber. Nur einige sind KunststudentInnen, die anderen „ganz normale Menschen“. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie wollen mitwirken an einer künstlerischen Arbeit, wollen ein Kunstwerk im öffentlichen Raum realisieren, von dem niemand weiß, was es einmal werden soll. Der Künstler Jochen Gerz sitzt mitten unter ihnen. Als Träger des ersten Rolandpreises für Kunst im öffentlichen Raum hat er den Auftrag, ein Kunstwerk für Bremen zu schaffen (vgl. taz v. 16.6.).
Gerz hat gerade Schlagzeilen gemacht: mit seinem „Mahnmal gegen Rassismus“ in Saarbrücken — ein unsichtbares Denkmal, denn Gerz hat die 2.164 Plastersteine des Schloßplatzes von unten mit den Orten Jüdischer Friedhöfe in Deutschland beschriftet. — Sein „Mahnmal gegen den Faschismus“ in Harburg wird demnächst planungsgemäß im Erdboden verschwinden: Dann ist die 12-Meter-Säule völlig mit Unterschriften gegen den Faschismus und wütend darübergesetzten Zeichen gegen
hier Mann am Tisch
Gerz: „Gute Ideen sind kein Privatbesitz“F.:Tristan Vankann
diese Unterschriften bedeckt.
In Bremen arbeitet Gerz auf ähnlich spektakuläre Weise unspektakulär. Hier führt er „Die Bremer Befragung“ durch — bei Kunstinteressierten, jetzt aber
auch bei Beschäftigten von Jacobs. Was für ein Kunstwerk erwarten sie von ihm. In gemeinsamen Seminaren werden die Vorschläge diskutiert. Vielleicht wird die Dokumentation dieser Befragung das Kunstwerk? Noch sind nicht alle Befragungen durchgeführt: eine weitere über die Werkszeitung von Jacobs Suchard steht noch aus.
Die Idee, einen Quadratmeter Werder-Rasen zu verpflanzen, kam von einem Jacobs-Mitarbeiter. Zwischen Glastür und Speisekarte hatten die KunststudentInnen den Erwerbstätigen die Fragebögen in der Hemelinger Werkskantine in die Hand gedrückt. Sie sind enttäuscht, daß nur 28 Interesse zeigten: „Nimm ihnen den Teller weg, stell Kunst dafür hin“, kommentiert Gerz lakonisch.
„Großartig“, sagt der Künstler zur Idee des Werder-Rasens, „wenn die Stadt den pflegen und unterhalten könnte“. Ein Quadratmeter Werder-Rasen auf dem Marktplatz rückt in greifbare Nähe. Die möglicherweise schwierige Pflege des Rasenstücks bringt eine Frau auf den „Rollrasen“ — jederzeit auf- und abbaubar, ein mobiles Kunstwerk. Gerz zuckt mit den Schultern. Einen Moment ist er sprachlos — das einzige Mal an diesem Seminarabend.
Eine gediegen ondulierte Endvierzigerin erzählt von Macumba-Ritualen im Fußball. Ein Mann will die Meisterschaftsschale in dem Rasenstück verewigen. Aber darf die Kunst sich an Fußball anhängen? Es wird philosophisch. „Wäre ich Giotto und würde die Kreuzzüge malen — keiner würde mir vorwerfen, daß ich mich der Religion anhänge“, sagt Gerz. Aber noch ist die Bremer Befragung auch nicht am Ende. Birgitt Rambalski
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