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Eigene Nationalgeschichte zurechtgelegt

■ betr.: "Der europäische Kulturgarten", taz vom 14.6.93

betr.: „Der europäische Kulturgarten“, taz vom 14.6.93

Ömer Erzerens „Zivilisationsvergleich“ ist der Beleg dafür, wie man sich eine eigene Nationalgeschichte zurechtlegen kann. Dazu nur ein Beispiel: Erzeren redet auf der einen Seite vom „demokratischen Aufbruch“ des Jahres 1909 in der türkischen Geschichte. Er verschweigt, daß gerade in diesem Jahre, 1909, die Massaker an den Armeniern in Kilikien just von eben diesen Trägern des „demokratischen Aufbruchs“ begangen wurden.

Auf der anderen Seite redet er von den massakrierten Armeniern, begrenzt auf den Ersten Weltkrieg und behauptet, der „demokratische Aufbruch“ sei die eigenständige Tat der Türken gewesen, der Völkermord an den Armeniern aber stehe in der Verantwortung der Europäer, die den „Nationalstaatswahn“ – u.a. auch mit diesem Krieg – in den „türkischen Kulturgarten“ hineingetragen hätten.

Im Klartext heißt es: Das Böse, das Morden, der Rassismus gehört den Europäern und kommt von dort, das Gute gehört den Türken. Nach Mölln und Solingen formulierte dies schärfer ein U-Bahn- Spruch in Frankfurt: „Deutsche Männer sind Nazis, deutsche Frauen sind Huren!“ Alles, was mit deutscher, europäischer Moral verbunden ist, ist verdorben, aber D-Mark und europäische Technologie sind willkommen.

[...] Gegenüber dem deutschen Publikum hat Erzeren ein leichtes Spiel, in den „linken Kreisen“ ist es sogar ein Heimspiel. Der Testfall wäre, wenn er sich in der Türkei zum Wächter und Missionar der Menschenrechte machen und auch für die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern einsetzen würde. In seinem Artikel hebt er argumentativ die Schuld des türkischen Staates und der türkischen Gesellschaft für den begangenen Völkermord an den Armeniern genauso auf wie die zur Zeit stattfindenden Verbrechen. Er weiß auch, wo die wirklichen Verbrecher sich ihr Stelldichein geben: in Europa, in Deutschland, das er, nach der Wahl der CDU in Frankfurt, nach eigenen Aussagen eben deswegen verlassen hat. Istanbul wird romantisiert und idealisiert mit Muezzins und Kirchenglocken, schöne heile Welt, multikulturell, während es in Solingen brennt. Und Sirnak, Diyarbakir...? [...] Suren Knolle-Akyüz,

Frankfurt am Main

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