: Karadžić „bietet“ Gebietsaustausch an
In Genf wird seit gestern über die Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas verhandelt / Bosnischer Delegationsleiter Boroš bestreitet Ablösung von Alija Izetbegović ■ Aus Genf Andreas Zumach
In Genf begann gestern der Versuch von UNO und EG, dem de facto besiegelten Untergang Bosnien-Herzegowinas noch einen völkerrechtlichen Anstrich zu geben. Am Morgen versuchten die Unterhändler David Owen (EG) und Thorvald Stoltenberg (UNO) die nach Genf gereisten sieben Mitglieder des bosnischen Präsidiums zu Verhandlungen über Details der von Serben und Kroaten diktierten Dreiteilung des Landes zu drängen. Von einem Treffen mit den Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Slobodan Milošević und Franjo Tudjman sowie dem Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić am Nachmittag erwarteten die beiden Konferenzvorsitzenden die Vorlage von Karten und weiteren Details der serbisch/kroatischen Aufteilungsvorstellungen. Es wurde nicht ausgeschlossen, daß an diesem Treffen im weiteren Verlauf des gestrigen Tages auch Mitglieder des bosnischen Präsidiums teilnehmen würden.
Vor Beginn der Begegnung mit Owen und Stoltenberg versuchte der am Dienstag vom Präsidium zum Genfer Delegationsleiter ernannte Kroate Franjo Boraš den Eindruck einer Spaltung der bosnischen Führung zu zerstreuen. Der Muslim Alija Izetbegović, der Gespräche über eine Dreiteilung Bosniens prinzipiell abgelehnt hatte, sei „weiterhin der Präsident Bosnien-Herzegowinas“ erklärte Boraš vor Journalisten. Er selber fungiere lediglich als „amtierender Präsident“ solange Izetbegović „wegen dringender Geschäfte in Sarajevo“ nicht nach Genf kommen könne. In der Sitzung mit Owen und Stoltenberg wiederholte Boraš diese Äußerung allerdings ebensowenig wie seine Ankündigung, seine Delegation werde nicht verhandeln und nichts unterzeichnen, sondern „nur die Vorschläge“ der Serben, Kroaten sowie der beiden Vermittler „anhören und zur Beratung nach Sarajevo mitnehmen“. In der bosnischen Hauptstadt bereitet Izetbegović unterdessen eine „Führungskonferenz“ von Mitgliedern des Präsidiums, der Regierung und der Armee sowie von Intellektuellen und Hochschullehrern vor.
Owen erklärte vor Beginn der Gespräche, die „internationale Gemeinschaft“ werde „eine Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas niemals akzeptieren“. Es müsse eine „föderales“ Dach über den drei Republiken der Serben, Kroaten und Muslime geben. Bei seiner Ankunft am Flughafen machte Karadzić jedoch deutlich, daß die Serben und Kroaten Bosniens von dem Ziel ihrer eigenständigen Staaten nicht mehr ablassen werden. Sie seien „allerhöchstens“ bereit, vorläufig einen föderalen Überbau ohne jegliche Kompetenzen zu akzeptieren, um UNO und EG den völligen Gesichtsverlust zu ersparen. Mit großmütiger Geste bot Karadžić den Muslimen einen „Gebietsaustausch“ zwischen den noch überwiegend von Muslimen bewohnten, aber von den Serben beanspruchten Enklaven in Ostbosnien wie Goražde und Srebenica an, gegen von ihm nicht näher bezeichnete Territorien an anderer Stelle. Ein solcher Gebietsaustausch würde die Umsiedlung von mehreren hundertausend Muslimen erfordern. Der russische Vizeaußenminister und Bosnien- Beauftragte Vital Tschurkin, hatte am Dienstagabend in Moskau einen derartigen Gebietsaustausch bereits befürwortet, solange er nur „mit Hilfe der UNO und unter Beachtung der humanitären Regeln verwirklicht“ werde.
Nach den bis gestern bekannt gewordenen serbisch-kroatischen Aufteilungsvorstellungen sollen die künftigen serbischen und kroatischen Separatstaaten jeweils zusammenhängende Territorien von 50 beziehungsweise 30 Prozent des bisherigen Bosnien-Herzegowinas umfassen. Die Muslime sollen danach zwei getrennte Kleingebiete von insgesamt 20 Prozent erhalten, darunter Bihać im Nordwesten. Möglicherweise werden Kroaten und Serben den Muslimen im Verlaufe der Verhandlungen noch einen schmalen Korridor zwischen den beiden Kleingebieten zugestehen. Hinter den Kulissen verhandelten Owen und Stoltenberg in den letzten Tagen bereits intensiv mit dem einflußreichen Muslimen Fikret Abdić – auch über Karten zur Aufteilung Bosniens. Präsidiumsmitglied Abdić, der bei der Sitzung des Gremiums am Dienstag zunächst auf die „Interimspräsidentschaft“ verzichtete, gilt als der starke Gegenspieler von Izetbegović.
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