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IM Brandenburger in Babelsberg

■ In Babelsberg wird derzeit "Der Blaue" gedreht, das Portrait über einen Stasi-Spitzel. Thomas Gill sprach mit Regisseur Lienhard Wawrzyn über blaue Geheimakten, lustvolle Verräter und über einen ...

Lienhard Wawrzyn wurde 1941 in Berlin geboren, er arbeitete neben seinem Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie auch auf dem Bau. Seit 1972 arbeitet der Geschäftsführer der Kulturzeitschrift 'Ästhetik und Kommunikation‘ als freier Autor und Hörfunkregisseur. Wawrzyn ist mit einer Reihe von Filmen bekannt geworden: „Eike und Marie“ (1982) „German Dreams“, (1985) „Ritas Freund“ (1988), „Treibjagd“(1990). Sein neuestes Spielfilmprojekt „Der Blaue“ kommt im Herbst in die Kinos.

taz: Herr Wawrzyn, Sie drehen gerade in Babelsberg Ihren bislang aufwendigsten Film. Titel: „Der Blaue“, Thema: die Staatssicherheit. Was hat es damit auf sich?

Wawrzyn: Die Stasi hat ihre Spitzel nicht ohne Spott so bezeichnet. Blau deshalb, weil die Farbe der Aktendeckel mit den Dossiers über die Informellen Mitarbeiter lange Zeit blau war. Später wurden die Kladden braun eingefärbt. Und der Braune als Filmtitel – das konnte ich mir wirklich verkneifen.

„Der Blaue“ ist demnach ein Stasi-Thriller?

Nur zum Teil. Er ist vor allem das Portrait eines Verräters. Sein Name ist Dr. Otto Skrodt, ein Mann mit dunkler Vergangenheit. Nach der Wende ist dieser skrupellose Machtmensch erneut auf dem besten Wege, Karriere zu machen. Skrodt ist Brandenburgischer Abgeordneter des Deutschen Bundestages und steht kurz vor dem Absprung, in Bonn Staatssekretär zu werden. Was niemand außer seiner Tochter, dargestellt von Meret Becker, weiß: Skrodt war in der DDR ein hochkarätiger Stasi-Spitzel. Sein Deckname: IM Brandenburger...

... der nach dem Motto handelt: „Die Mühlen sind verschwunden, aber der Wind weht noch.“ Das steht auf dem Drehbuchcover.

Ich spiele damit auf die gesamte Situation an.

Gibt es diese Filmfigur wirklich?

Für Dr. Otto Skrodt haben verschiedene Top-Stasi-Spitzel Pate gestanden. Ich habe mit der Recherche noch zu DDR-Zeiten angefangen, habe mit zahlreichen Spitzeln und deren Führungsoffizieren gesprochen und mit Dutzenden von Opfern. An jeder Imbißbude wußten die Leute Bescheid, wer für die Stasi gearbeitet hat. 180 Stunden Tonbandaufzeichnungen sind das Ergebnis meiner zweijährigen Recherchearbeit. Daraus habe ich auch ein Buch gemacht. Es heißt „Der Blaue – das Spitzelsystem der DDR“ (Wagenbach-Verlag).

Und wie sie Sie an diesen Blauen gekommen?

Durch eines seiner Opfer. Eine verrückte Geschichte, über die tatsächlich eine Akte existiert. Das Opfer war damals Mitglied einer SED-Bezirksleitung und sollte auf Anordnung von ganz oben aus dem Havelland eine riesige Apfelplantage machen. Es sollten nur noch Apfelbäume gepflanzt werden, ein abstruser Plan. Der Mann hat nicht mitgespielt, dann ist die Stasi aktiv geworden, und der arme Funktionär wurde nach allen Regeln der Kunst fertiggemacht. Ich fand diese Geschichte so bizarr und absurd, daß ich in dieser Sache weiterrecherchiert habe, bis ich auf den Spitzel stieß.

Wieso haben die Leute überhaupt mit Ihnen geredet? Gab's Schmerzensgeld oder Info-Honorar?

Nein. Damals ging das noch. Nach dem Fall der Mauer waren die Wunden ja sehr frisch, und ich habe allen Interviewpartnern zugesichert, daß ich nicht ihre Namen und Berufe preisgebe. Ich wollte mich ja nicht als Rächer der Enterbten aufspielen. Heute würden viele, mit denen ich damals stundenlang geredet habe, mir die Nase vor der Tür zuschlagen.

Was fasziniert Sie so am Stasi- Thema?

Das ist doch nicht nur für einen Drehbuchautor ein brisanter Gegenwartsstoff. Es ist merkwürdig genug, aber über dieses Thema gibt es bisher nicht einen einzigen Nachwende-Spielfilm. Die jetzige Situation erinnert mich manchmal an die Jahre nach 1945: allseits großes Schweigen über das, was an Unrecht geschehen ist.

Wie gut kennen Sie sich denn mit dem Stasi-System aus?

Lesen Sie mein Buch!

Das ist keine befriedigende Antwort. Haben Ostkollegen am Dreh schon rebelliert, weil die Filmstory zu sehr aus der Luft gegriffen ist?

Gegen das Drehbuch sind noch keine Vorbehalte laut geworden. Im Gegenteil: Viele Kollegen aus den neuen Bundesländern haben mir versichert, daß sie sich mit ihren Erfahrungen in dem Film wiederfinden.

Was läßt sich über das Psychogramm eines IMs im allgemeinen und des Blauen im besonderen sagen?

Der Blaue gehört zu den Top- Spitzeln. Das waren fast immer latente Hochstapler, die auch eine große Lust am Verrat verspürten. Unbewußt wollten sie die Integrität ihrer Opfer zerstören. Etwas, was sie selbst nie vorweisen konnten. Aber es gab auch die vielen kleinen IMs, die einfach mitgemacht haben um des lieben Friedens willen.

Manfred Krug spielt die Hauptrolle. Ein harter Brocken, sowohl als auch?

Als ich das Drehbuch geschrieben habe, war Krug mein Favorit für diese Rolle. Er hat das Buch gelesen und sofort zugesagt. Auch Klaus Manchen (spielt den Führungsoffizier Werner Rogatsch) und Ulrich Mühe, alles Spitzenleute, waren begeistert. Ulrich Mühe ist Skrodts alter Freund Kallo Kaminiski, eines seiner ahnunglosen Opfer...

... das vor Liebeskummer ausrastet und bei einem Bundeswehrball Panzer fährt. Es fehlen noch die Verfolgungsfahrten.

In dem Film explodiert auch noch ein Auto. Was ist gegen gut inszenierte Action zu sagen? „Der Blaue“ ist ja kein missionarischer Film, kein Dokumentarstreifen.

Also wieder ein sehr teurer Film, entwickelt unter Ausschluß der Öffentlichkeit?

Ich hoffe nicht. Wir drehen auf Drei-Wand und in Dolby. Wir mischen im sogenannten THX-Verfahren, mit dem auch George Lucas arbeitet. Der Film kostet 3,6 Millionen Mark, und dieses Geld soll der Zuschauer auch sehen.

Der erfolgreiche Politthriller „Schtonk“ war noch viel teurer...

... und trotzdem hohl. Der Film litt unter der Kargheit des Gedankens. Ich will intelligent unterhalten, ohne gleich ins Seichte abzudriften. Und ich versuche mit meinem Film eine neue Sinnlichkeit zu etablieren. Dazu gehört auch, daß Manfred Krug im Film singt – im Kino das erste Mal nach 20 Jahren.

Sie schreiben die Drehbücher selbst und führen auch Regie. Wenn man Ihre Filmografie liest, dann fällt Ihr schräger Blick auf, wie Sie Wirklichkeit wahrnehmen. Sie haben einen Essay über eßbares Spielzeug geschrieben und einen Kurzfilm über zwei stumme Weihnachtsmänner gedreht, die vergeblich versuchen, mit einem Bus in die Stadt zu fahren. Hat der Blaue von dieser Blickweise auch etwas mitbekommen?

Ich hoffe doch. Zum Beispiel bei der Auswahl der Details, auf die ich viel Wert lege, weil sie zur Stimmung des Films wesentlich beitragen.

An authentischen Hinweisen mangelt es jedenfalls nicht. Eine Filmszene spielt in der Gemeinde Stolpe, und die Filmmusik greift auf einige Werke des Komponisten Carl Czerny zurück.

Der Spiegel hat diese Geschichte auf seine Weise dargestellt. Ich portraitiere einen Verräter, der für „die Firma“ gearbeitet hat. Welche Bezüge die Zuschauer im einzelnen zur Wirklichkeit herstellen, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Wenn Diskussionen über dieses heikle Thema in Gang kommen, um so besser.

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