: Die schweren Tage - letzte Folge: "Der Führer reagierte unwirsch"
■ n Letzte Folge: Sonnabend, 31. Juli 1943 - Die Menschen fügen sich in die Katastrophe
„Jawohl, Stalingrad war schrecklicher, aber Hamburg lag nicht an der Wolga, sondern im Herzen Deutschlands“, erinnert sich später ein führender Luftwaffengeneral an die Tage nach „Gomorrha“. Die für die „Reichsverteidigung“ verantwortlichen Militärs beschließen, „alles zu tun, um ein zweites nationales Unglück dieses Ausmaßes“ zu verhindern. Von einer Beendigung des Krieges oder dem Versuch, das Regime zu stürzen, ist keine Rede.
So zeigt sich denn auch Adolf Hitler von den Ereignissen in Hamburg herzlich unbeeindruckt. Auf den Vorschlag von Rüstungsminister Speer, sich Seite an Seite mit den Opfern in den brennenden Straßen zu zeigen, „reagierte der Führer unwirsch“. In seinem ostpreußischen Bunkergehege kreisen Hitlers Gedanken in diesen Tagen vielmehr um das Schicksal seines am 25. Juli gestürzten und verhafteten Freundes Benito Mussolini. Nun gilt es auch noch, das Land eines ehemaligen Verbündeten in die lange Liste deutsch-besetzter Staaten einzureihen. „Terror bricht man mit Terror“ bescheidet Hitler bündig seinen Luftwaffenbefehlshaber Hermann Göring und befiehlt die Intensivierung der Vergeltungsangriffe auf England.
Göring, der „Reichsmarschall“, dessen Luftwaffe die Angriffe auf Hamburg nicht verhindern konnte, wird, anders als Hitler, sich vor Ort zeigen. Am 6. August läßt er sich durch das „Feuersturm“-Gebiet führen. Die Wirkung solcher Auftritte ist immer gleich. Angepflaumt ob seines Versprechens, er wolle „Meier“ heißen, falls je eine feindliche Bombe auf Deutschland falle, zeigt „der Dicke“ sein joviales Lächeln und verteilt seine geliebten Havannas. Am Nachmittag informiert er eine Versammlung von Parteifunktionären lapidar, er wisse im Moment auch nicht, was man gegen „derartige Angriffe“ tun könne.
Am selben Tag bezeichnet die Nachrichtenagentur „Associated Press“ die Angriffsserie gegen Hamburg als einen großen Erfolg gegen „ein Zentrum der deutschen U-Bootfertigung“. Die Zerstörung von Wohnvierteln „möge dem fernen Beobachter skrupellos erscheinen“, sei aber „als integrativer Bestandteil des militärischen Angriffs erforderlich“ gewesen.
Eine Luftaufnahme in der „Illustrated London News“ kennzeichnet die Informationspolitik des britischen Luftwaffenministeriums gegenüber der Öffentlichkeit in den Staaten der Anti-Hitler-Allianz: Ins Auge fallen der Verschiebebahnhof Rothenburgsort und die südlich anschließenden Hafenanlagen. Der Übergang zu den Wohnvierteln des „Feuersturm“-Gebietes markiert lediglich den oberen Bildrand. Die Anzahl der Toten wird als Nazi-Propaganda abgetan.
Im Bomberkommando herrscht zwar „einiges Entsetzen“, als das Ausmaß der Vernichtung etwa zwei Wochen später in England genauer abgeschätzt werden kann, aber „Butch“ Harris, der Befehlshaber, pflegt Zweifler mit der Unerbittlichkleit eines Inquisitors zu verfolgen. Harris kann auf die volle Unterstützung von Premierminister Winston Churchill rechnen, der umgehend einen Stapel „Gomorrha“-Fotos – inclusive 3-D-Sichtgerät – an Josef Stalin schickt. Sie sollen dem ungeduldigen Verbündeten nachdrücklich vor Augen führen, daß nicht nur die „Rote Armee“ Deutsche töten kann.
In der Royal Air Force wird die „Battle of Hamburg“ während des Krieges als großer Sieg betrachtet. Obwohl das Ende aus militärischer Sicht eher kläglich ausfallen wird. In der Nacht vom 2. zum 3. August wird „Butch“ Harris seine gesamte Streitmacht noch ein viertes Mal über die Hansestadt schicken. Unzureichende Wettervorhersagen führen den „Bomberstrom“ jedoch mitten in eine mächtige Gewitterfront. Die Bomben fallen wild verstreut zwischen Kiel und Bremen und töten 57 Menschen in Elmshorn. In Hamburg brennt die Staatsoper ab.
„Der Krieg ist verloren“ – diese Einsicht geht wohl um. Aber das „Fanal Hamburg“ wird ohne Folgen bleiben. So wenig der Untergang Pompeijis die römische Geschichte verändert hatte, so wenig wird der Tod von 40.000 Hamburgern den Verlauf des II. Weltkriegs beeinflussen. Die Menschen fügen sich in die Katastrophe: Es ist eben „die Nacht, als Feuer vom Himmel fiel“.
Haß auf die „Terrorflieger“ wird weitgehend Sache der Propaganda bleiben, aber auch Schuldzuweisungen an die eigene „Führung“ ziehen keine weiten Kreise. Sie werden erst Eingang in die Gedenkreden zu Jahrestagen finden. Verbitterung herrscht allenfalls darüber, daß „Gomorrha“ ausgerechnet über Hamburg kam. Neben der selbstattestierten „Englishness“ wiegt sich Hamburg schließlich bisweilen noch immer in dem Dünkel, im Grunde ja keine richtige Nazi-Stadt gewesen zu sein. Selbst NS-Gauleiter Karl-Otto Kaufmann wird in manchen Erinnerungen als „intelligent“ und „anständig“ von den „braunen Horden“ abgesetzt.
Inhalt vieler Rückblicke ist dagegen die Lebenskraft der Stadt, deren Einwohner sich unter dem Trauma des „Feuersturms“ „bogen, aber nicht brachen“. Trotz aller Anstrengungen des Wiederaufbaus hat erst das Baufieber der frühen Neunziger Jahre das Stadtbild endgültig saniert. Die „Boomtown“ Hamburg wäre ohne die Kriegsschäden, ohne die brachliegenden Baulücken so nicht möglich gewesen. Und so sind - eher als die pietätvolle Ruine der Nicolai-Kirche - der bedrohliche Koloß des Hochbunkers auf dem Heiligengeistfeld und der Glas- und Klinkerklotz des Steigenberger-Hotels gegenüber der Stadthausbrücke verbindende Mahnmale an die Vergangenheit in der Gegenwart.
1. Juli 1993: Schlagzeile einer Hamburger Zeitung: „Kartenverkauf hat begonnen“. Gemeint ist „das große Festival zur Gomorrha-Woche“. Wem „zwei Stunden volles Programm“ nicht genügen, immerhin moderieren Witta Pohl und Carlheinz Hollmann, dem bietet sich die CD „mit dem Soundtrack zum Film ,Wer den Wind sät'“ als dauerhaftes Andenken.
18. August 1943: Aus dem Leitartikel des „Hamburger Fremdenblatts“: „Heute wollen wir nicht zurückblicken auf die schweren Tage, wollen nicht klagen und kleinmütig sein, wissen wir doch, daß Hamburgs Geschichte nicht mit einem Trümmerfeld enden wird“.
Wenige Wochen später wird es bei den Außenaufnahmen zu „Große Freiheit Nr. 7“ mit besonderem Geschick gelingen, dem Zuschauer eine unzerstörte Hafenstadt vorzuführen. Zu dieser Zeit wird die Rüstungsproduktion in Hamburg schon wieder 80 Prozent des Leistungsniveaus vor „Gomorrha“ erreicht haben. Noch weitere 21 Monate lang werden die Hamburger ihren Beitrag zum Krieg leisten und erst aufgeben, als am 3. Mai 1945 die ersten britischen Panzer über die Elbbrücken rollen.
Ende
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