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Abschiebung? Anruf genügt

Über 100 Flüchtlinge kommen jährlich als blinde Passagiere nach Hamburg. Eine Firma sorgt für den reibungslosen Rücktransport  ■ Von Elke Spanner

In Kühlräumen, Frachtcontainern und hinter Bananenkisten versteckt erreichen sie den Hamburger Hafen. Viele „blinde Passagiere“haben bei sich nicht mehr als das Hemd, das sie am Körper tragen. Papiere, Ausweise, Geld? Fehlanzeige. Warum sie herkommen, interessiert die deutschen Behörden kaum. Wo sie herkommen, will die Ausländerbehörde hingegen wissen. Aus einem einzigen Grund: Nur in das Land, aus dem er stammt, kann ein Flüchtling abgeschoben werden. Der Schlüssel, der die Grenze ins Herkunftsland öffnet, ist der Paß oder ein entsprechendes Paßersatzpapier.

116 Flüchtlinge erreichten im vergangenen Jahr als blinde Passagiere Hamburg, 112 waren es im Jahr zuvor. Die Zahlen steigen, seit mit der sogenannten Drittstaatenregelung der Landweg für Flüchtlinge nahezu versperrt ist. Reist jemand als „blinder Passagier“in die Bundesrepublik ein, ist die Reederei, der das Schiff gehört, verpflichtet, für den Rücktransport zu sorgen. Erst wenn ein Asylantrag gestellt ist, wird die Ausländerbehörde eingeschaltet. Zuvor regeln die Reedereien das „Problem“selbst.

Im Februar 1996 zum Beispiel wurden sechs liberianische minderjährige Flüchtlinge an Bord des Frachters Constantinos D. am Schuppen 64 im Hamburger Freihafen tagelang eingesperrt, weil sie umgehend von dort zurückgeschoben werden sollten. Als sie unter tatkräftiger Mithilfe Hamburger Flüchtlingsinitiativen es schließlich schafften, einen Asylantrag zu stellen, wurden sie zunächst nach Oldenburg gebracht und von dort aus getrennt weiterverteilt.

Die Reedereien bedienen sich beim Rücktransport der Hilfe einer privaten Firma, des Pandi Service. Dieses Seeversicherungsunternehmen verfügt weltweit über Kontakte – gerade auch in westafrikanischen Ländern, aus denen ein Großteil der „blinden Passagiere“einreist. Zeitgleich mit deren Entdeckung auf dem Schiff informiert die Reederei per Satellitentelefon neben der Wasserschutzpolizei den Pandi Service. Läuft das Schiff im Hafen ein, sind dessen MitarbeiterInnen schon am Kai, um den Aufgegabelten über seine Herkunft zu befragen. Umgehend macht sich die Firma auf die Suche nach einem Land, das den in Hamburg ungebetenen Gast bei sich aufnimmt. „Wenn jemand erzählt, ich komme aus dem Dorf soundso, und da heißt der Häuptling soundso, dann überprüfen wir das“, verrät der Geschäftsführer von Pandi Service in Hamburg, Ronald Hörnicke, seine Methoden.

Hat jemand keine Papiere bei sich, ist der Nachweis der Nationalität schwer zu erbringen. In der Regel muß der Flüchtling bei der Botschaft des fraglichen Landes persönlich vorgeführt werden. Anders, wenn der Pandi Service die Sache in die Hand nimmt. Dann gilt: Anruf genügt.

So auch im Falle Jackson Andrews, als dieser im Januar 1995 das erste Mal nach Deutschland kam. Mit sieben weiteren Liberianern lief er unentdeckt im Rostocker Hafen ein. Sechs von ihnen ließen sich noch an Bord von Pandi Service zur Rückkehr beschwatzen und mit etwas Geld und neuer Kleidung überzeugen. Nicht so Jackson Andrews. Er stellte einen Asylantrag. Von dem Moment an war eigentlich die Ausländerbehörde für ihn und die spätere Abschiebung zuständig. Trotzdem tauchte am 12.1.95 plötzlich als Paßersatzpapier ein Travel Certificate der ghanaischen Botschaft auf. Auftraggeber: Pandi Service. Angegebene Anschrift von Jackson Andrews: Der Firmensitz von Pandi Service. Jackson Andrews wurde nach Ghana abgeschoben.

Knapp ein Jahr später versuchte er es erneut, als einer der Liberianer, die auf der Constantinos D. im Freihafen festgehalten wurden. Jackson Andrews führte eine Geburtsurkunde bei sich, die ihn als Liberianer auswies. Doch die liberianische Botschaft lehnte die Anerkennung ab. Das Papier sei gefälscht, hieß es. Daraufhin, vergangenen Sommer, wurde der Liberianer bei den Botschaften verschiedener afrikanischer Länder herumgereicht.

Die Vertreter von Sierra Leone sollen der Ausländerbehörde noch den Tip mit auf den Weg gegeben haben: „Versucht es bei der ghanaischen Botschaft, da werdet Ihr ihn bestimmt los.“Zunächst nicht: Die ghanaische Botschaft erkannte ihn nicht als Staatsbürger an. Doch dann, ein halbes Jahr später, lag im Februar 1997 plötzlich ein Travel Certificate für Jackson Andrews vor.

Darüber, was in der Zwischenzeit passiert ist, schweigt sich die ghanaische Botschaft in der Bundesrepublik aus. Die Sekretärin des Botschafters deutet gegenüber der taz lediglich an: „Das Auswärtige Amt hat Druck auf uns ausgeübt, daß wir das tun.“

Der zuständige Sachbearbeiter Weert Börner des Auswärtigen Amtes bestätigt das sogar: „Letztes Jahr blockierte die ghanaische Botschaft die Ausstellung von Paßersatzpapieren und damit die Abschiebungen. Es bedurfte eines Gespräches, woraufhin sie uns die Papiere gaben“, räumt er ein. Worauf sich die Annahme, Jackson Andrews sei Ghanaer, stützte, weiß er nicht. Ebensowenig kann der Sprecher des zuständigen Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern, Armin Schlender, die Frage beantworten. Er stellt Vermutungen an: „Jackson Andrews ist wohl Ghanaer, weil er schon einmal mit ghanaischen Papieren abgeschoben wurde“– damals ohne persönliche Vorführung bei der Botschaft, damals nach einem schlichten Telefonanruf des Pandi Service.

Wer die für eine Abschiebung erforderlichen Papiere tatsächlich besorgt, ist allen Beteiligten herzlich egal – Hauptsache, sie liegen vor. Selbst wenn mit Pandi Service eine Privatfirma tätig wird und damit eine staatliche Aufgabe übernimmt.

Der Sprecher des Bremer Innenministeriums, Stefan Luft, findet klare Worte: „Das interessiert mich nicht, was der Pandi Service macht. Das ist mir egal.“Und der Geschäftsführer des Pandi Service in Hamburg, Ronald Hörnicke, weiß: „Wo die Papiere herkommen, interessiert die Ausländerbehörde überhaupt nicht.“

Vorigen Sommer wollte das Bremer Innenministerium die Umtriebe der Privatfirma nicht nur ignorieren, sondern sich deren Dienste sogar zunutze machen. Das Ministerium plante eine Art „Abschiebung nach Afrika“: Der Pandi Service sollte die Flüchtlinge ohne Papiere in ein beliebiges afrikanisches Land ausfliegen. Erst vor Ort sollten die MitarbeiterInnen sich auf die Suche nach Papieren und einem Land machen, das zur Aufnahme bereit ist. Dieses Projekt scheiterte an der Intervention der Bremer Ausländerbeauftragten Dagmar Lill: „Man darf einen hoheitlichen Akt nicht in die Hände einer Privatfirma legen“, wehrte sie ab.

Auch der beim Hamburgischen Ausländerbeauftragten tätige Rechtsanwalt Rainer Albrecht hatte damit Bauchschmerzen: „Die Papiere könnten vor Ort gegen Geld gekauft werden“– die Flüchtlinge würden dann „nach Afrika verkauft“. Daß der Pandi Service zumindest bei der Beschaffung der Papiere in Deutschland die Ausländerbehörde entlastet, wundert ihn nicht: „Nur weil etwas nicht sein darf, heißt es nicht, daß es nicht ist.“

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