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„Ja, ich habe mich verändert“

■ Halbzeitbilanz: Die SPD nach zwei Jahren großer Koalition / Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden Christian Weber

Christian Weber war einfacher Abgeordneter aus Hemelingen in der Ampel-Koalitionszeit 1991-95, im Wahlkampf 1995 stritt er für die SPD und SPD-intern für Rot-Grün. Heute ist er als Fraktionsvorsitzender der SPD eine Schlüsselfigur der großen Koalition und sorgt für reibungslose Kooperation mit der CDU. Wir fragten ihn nach seiner „Halbzeitbilanz“.

taz: Hat sich Christian Weber in seinem und mit seiner Aufgabe verändert?

Christian Weber: Ja, ich habe mich verändert. In meiner Funktion muß ich größere Zusammenhänge viel mehr in den Vordergrund stellen als Interessen, die ich früher gewohnt war, vertreten zu können. Als Hemelinger Beiratssprecher war für mich Hemelingen die politische Welt. Auch als Bürgerschaftsabgeordneter bleibt man Hemelinger, als Vertreter seines Stadtteils.

Die Parteiensoziologie hat diese Anpassung bös' kommentiert – als „Verrat“und Bürokratisierung der Politik ...

Wenn ich die klimatisierten Räume der Bürgerschaft hier verlasse, setze ich mich in die Straßenbahn und bin wieder in Hastedt, so weit ist es mit der Entfremdung nicht her. Aber richtig ist, die Perspektive verändert sich.

An der Basis der SPD wird kritisiert, daß genuin sozialdemokratische Grundsätze nicht mehr verfolgt werden. Die gefeierte Rettung von Vulkan-Arbeitsplätzen bedeutet de facto eine verstärkte Abhängigkeit vom Rüstungssektor, ohne daß das jemand beklagt. Arbeitszeitverkürzung für neue Arbeitsplätze findet nicht statt im Verantwortungsbereich des Senats, sozialdemokratische Regierungspolitik tut das Gegenteil.

Das wird uns vorgehalten, stimmt. Das Spektrum einer Volkspartei ist breit. Beim Vulkan ist uns gleichzeitig vorgehalten worden, wir hätten viel und zu lange an überkommenen Strukturen festgehalten. Und andere sozialdemokratisch regierte Bundesländer haben diese Arbeitszeitverlängerung schon vor Jahren beschlossen. Es gibt eine tradierte Strömung in der SPD und auch eine um Gerhard Schröder, der sagt, es gibt keine linke und keine rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur eine Wirtschaftspolitik und die ist erfolgreich oder eben nicht. Grundsätze sind ja nicht statisch, die müssen immer wieder überdacht werden.

Wenn die tradierten sozialdemokraischen Milieus wegsterben – was wird in der Wirtschaftspolitik Neues geschaffen, womit können Sie sich identifizieren?

Wir können uns mit der ganzen Palette der neuen Technologien identifizieren. Wir haben in der Tat die Bindungen zu diesem sozialdemokratischen Milieu lange gahalten, das war nicht falsch. Aber die Technologiefeindlichkeit war zu lange mit uns verbunden, das war ein Fehler. Ich erinnere mich schmerzhaft an einen SPD-Parteitag, wo wir unseren SPD-Senatoren verbieten wollten, ein Autotelefon zu führen. Ich erinnere mich an unsere schwierige Diskussion um die Einführung von Computern in den Schulen. Wir haben manches Mal sehr beharrend diskutiert. Das hat uns nicht gut getan.

Ein anderes Themenfeld ist die Innenpolitik. Was macht der derzeitige Senator besser als zum Beispiel der letzte sozialdemokratische Senator in diesem Amt, Peter Sakuth?

Er macht nichts besser. Er ist nur in seiner Vorgehensweise unabgestimmter. Wir haben immer den Versuch gemacht, für das, was wir in der Innenpolitik gemacht haben, eine breite Mehrheit zu finden in den Gewerkschaften, in den Parteigliederungen. Hier ist ein Innensenator, der klar die rechte Mitte besetzt, der gefeiert wird, wenn er sagt, ich verhindere Silvester-Krawalle, das wird in der Gesellschaft honoriert... In seiner alltäglichen Arbeit im Ressort macht er dabei nichts anderes als seine Vorgänger auch gemacht haben.

Die Silvester-Krawalle oder die Konzentration des Drogenhandels im Ostertor- und Steintorviertel haben sich in der Ära der SPD-Innensenatoren zum Problem entwickelt, auch Sozialdemokraten fanden, das konnte so nicht weitergehen.

Ich bestreite das nicht. In der Ampel-Koalition gab es deshalb eine enge Absprache zwischen dem Innenressort und der Sozialpolitik in diesem Bereich, also der erforderlichen Härte und auch sozialen Angeboten. So eine inhaltliche Vorgehensweise kann ich jetzt nicht finden. Er arbeitet in den Tag hinein, aber immerhin – erfolgreich.

Der Bausenator – ist der auch so erfolgreich?

Nun ja, wir helfen ihm....

... gegen seine eigene Partei?

Ich beglückwünsche ihn zu seinem Festhalten an den ÖPNV-Maßnahmn. Es ist lange nicht so viel an ÖPNV ausgebaut worden wie derzeit, Linie 4, Linie 6, geplant ist eine Maßnahme an der Westerstraße...

Nochmal zurück zur Wirtschaftspolitik. Große Projekte im Vergnügungs- und Tourismus-Sektor werden seit Jahren hin- und her geplant. Der Ocean-Park soll mindestens 400 Millionen Mark Staatsgelder kosten, der Space-Park liegt bei 200 Millionen Mark, das Musical bei 60 Millionen, die sind schon beschlossen. Sind solche Engagements des Landes sinnvoll?

Ob sie ertragreich sind, weiß man immer erst hinterher...

Wenn Investoren sie für ertragreich halten würden, dann würden sie nicht in derart großem Umfang staatliche Subventionen zur Bedingung machen. Der Staat kommt – wie bei den Werften – immer dann, wenn klar ist, daß es nicht rentabel ist.

Dann müßte man sich jetzt aus diesen Projekten verabschieden. Aber wir wollen nur das hineingeben, was im ISP-Programm enthalten ist..

... das sind 250 Millionen für den Ocean-Park und Space-Park nur 100 Millionen Mark.

Über die Differenz zu den geforderten Summen ist nichts entschieden.

Die Betreiber treten ohne die größeren Summen nicht an.

Das verlangen die.

Die Betreiber sagen: Vor dem Sommer muß eine Entscheidung fallen, sonst wird das zur Expo 2000 nichts mehr.

Federführend ist das Wirtschaftsressort. Ich habe bisher keine Ansprache darüber bekommen, wie weit die Verhandlungen mit der Unternehmensgruppe Köllmann sind. Ich gehe davon aus, daß es da keine Probleme gibt mit dem Rahmen, den wir beschlossen haben.

Was macht der Perschau richtig gut aus Sicht der SPD?

Er kann seine Wirtschaftspolitik, die ja seit WAP 1 keine Brüche erfahren hat, gut verkaufen.

Seit WAP 1 heißt seit Beginn der 80er Jahre, also seit der Federführung des Staatsrates Frank Haller?

Es hat ja unter Wirtschaftssenator Werner Lenz (SPD), Uwe Beckmeyer (SPD), Claus Jäger (FDP) da in der Wirtschaftspolitik keine gravierenden Brüche gegeben. Das ist die Zeit des Senatsdirektors Haller.

In der SPD fragen manche: Wie will die Bremer SPD Wahlkampf machen? Schon im Bundestagswahlkampf müssen alle kleinen und großen SPD-Wahlhelfer an den Ständen doch erklären, daß die CDU-Leute die großen Feinde sind, daß man die unter keinen Umständen wählen darf. Was sollen sie da sagen?

Solche platten Schwarzweißmalereien nimmt uns keiner mehr ab, nicht nur in Bremen. Man kann nicht drei, vier Jahre vernünftig pragmatisch zusammenarbeiten, und dann kommt der Wahlkampf, und man drischt aufeinander ein. Wichtig ist, daß wir eine eigene Regierung darstellen können. Das, was wir erreicht haben, können wir im Wahlkampf exzellent darstellen, da habe ich keine Probleme. Es gibt Bereiche, in denen die Bilanz noch dürftig ist, das ist vor allem die Bildungspolitik. Da müssen wir nachlegen. Ein Einstellungskorridor für Lehrer muß her, die Grundausstattung insbesondere für die Grundschulen ist eine Katastrophe. Wir müssen deutlich machen, daß wir die Schulen sanieren und reparieren.

Gibt es etwas, was die Bremer SPD ganz anders machen würde, wenn sie nicht in der Koalition gebunden wäre?

In der Wirtschaftspolitik würde ich mehr setzen auf eine Gründeroffensive. Ich würde noch mehr auf innovative Technologien setzen. In der Verkehrspolitik würden wir natürlich auf die Bitter-Trasse verzichten und stattdessen alle Energie auf die A 218, also die Anbindung des GVZ, den Hemelinger Tunnel und den Vollanschluß der Hemelinger Marsch an die Autobahn legen. Wenn das wirklich gemacht wird, sind die Gelder für Verkehrsmaßnahmen auf Jahre gebunden.

Nach zwei Jahren Kooperation mit der CDU sind alle Träume von Rot-Grün weggewischt?

Daß sich Koalitionen erst nach der Wahl ergeben, ist klar. Ich würde mit dem gerne eine Koalition machen, mit dem ich was umsetzen kann. Da ist mir Grün so recht wie eine andere Konstellation. Aber die Grünen haben durch den Fortgang von Ralf Fücks eine eklatante Schwächung erlitten. Das, was ich zur Zeit bei den Grünen in der Bürgerschaft vorfinde, läßt mich ein wenig zweifeln. Int.: K.W.

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