: Geheimtip am Rand der Welt
■ Können, Kunst und Knete: Wie das „Theater Laboratorium“erfolgreich Figurentheater macht
Hinter der wuchtigen, klassischen Fassade des ehemaligen Ludwig-Hospitals in der Oldenburger Innenstadt, verbirgt sich die restaurierte Synagoge der neuen jüdischen Gemeinde. Gleich daneben eine Holzbaracke. Hier wohnt – unter anderem – der kleine Herr Winterstein. Der große Herr Winterstein will das Leben des kleinen aufschreiben. Immer wenn der große Herr Winterstein schreibt, werden seine Figuren lebendig. Auch der Konzertgeiger Roman Winterstein steigt aus der alten Schreibmaschine aus. Schließlich geht es um seine Geschichte. Keiner will sich an ihn erinnern, er ist Jude.
Über tausend Mal hat Herr Winterstein sein Leben erzählt. Er hat es englisch erklärt, niederländisch geträumt, französich doziert. In Oldenburg spricht man deutsch. An seinen Lippen hängen Kinder, Erwachsene, Punks, Edelstreifen, Nonnen, Omas, Opas, kurz, das Volk. Der Mann, der Roman Wintersteins Geschichte schreibt, der große Herr Winterstein, heißt eigentlich Pavel Möller-Lück und ist Schauspieler. Seine Frau, die Puppenspielerin Barbara Schmitz-Lenders, hat dem kleinen Herrn Winterstein Gestalt gegeben. Seit über 13 Jahren leben und arbeiten Barbara und Pavel zusammen – wie Pech und Schwefel – sie Bild, er Wort. Vor gut zweieinhalb Jahren hoben sie das „Theater Laboratorium“aus der alten Holzbaracke. Pate stand die Stadt. Sie beteiligte sich an den Renovierungskosten und läßt das Theater mietfrei arbeiten. Zur „Woche der Brüderlichkeit“vergab die Behörde den Auftrag, ein Stück zu schreiben.
„Wir wollten mit dem kleinen Herrn Winterstein keine Aufarbeitung des Nationalsozialismus leisten. Wir haben unser eigenes Unbehagen thematisiert“, meint Barbara Schmitz-Lenders. Pavel Möller-Lück: „Wir wollten nicht, daß jemand in Gefühlsduselei verfällt. Wir haben das Stück zur Zeit der Kriege im ehemaligen Jugoslawien entwickelt. Man konnte im Fernsehen jeden Tag verfolgen, wohin öffentlich aufgeputschter Haß gegen jeweils Andersdenkende führt.“
Barbara und Pavel haben sich dieses rasante Stück auf den Leib geschrieben. Schnörkellos und intensiv, gefiltert durch die Distanz, die die Figuren herstellen, bleibt trotz der Erschütterung Zeit für Leben. Das ist ein Roman, den man atemlos liest und am Ende gleich wieder von vorn anfängt. Gute Geschichten haben kein Ende. Das ist wie Kino. Schnelle Schnitte, Wechsel der Situation, geschickte musikalische Untermalung.
Das Laboratorium kitzelt den Moment heraus, in dem es ganz still wird, Kinder, Jugendliche und Erwachsene überrumpelt sind. „Wir liefern Gesprächsangebote“, sagen Pavel und Barbara, denen Legenden zu einfach, Klischees zuwider und Niedlichkeiten ein Greuel sind.
Die Figuren sind keine kostbaren Dekorationsgegenstände, sondern Charaktere. „Für einen Puppenspieler ist ein Stuhl kein Stuhl, sondern ein Element des Spiels,“sagt Möller-Lück, der auf der Bühne wie ein Berserker durch den Text von manchmal vier Personen rast. Das kleine Theater am Rand der Welt hat eine Trilogie der Melancholie vorgelegt. „Der kleine Herr Winterstein“, „Der kleine Prinz“und „Was wurde eigentlich aus Konrad Müller“heißen die Stücke.
„Konrad Müller“erfährt, daß all seine Kinderträume den Bach runtergegangen sind. Die unerfüllten Wünsche und Hoffnungen rühren Väter und Mütter zu Tränen. Ihre Kinder lachen sich schlapp. „Der kleine Prinz“verfängt sich im Netz von Eitelkeiten und Ideologien. Die Collage dieses Stücks für Erwachsene entzaubert den legendären Autor Saint-Exupery als einsamen, sich zerquälenden Menschen.
Die „Drei Käse Hochs“ist eine Reverenz an das Medium Film. Zwangsweise „ins Leben“außerhalb des Kinos entlassen, verhalten sich die Figuren so, wie sie es sich von ihren Leinwandhelden abgeguckt haben. Aus Hamburg, Bremen, Ostfriesland reisen mittlerweile die Fans des latenten Geheimtips „Theater Laboratorium“an. Gerade basteln Barbara und Pavel an einem neuen Stück. Im September ist Premiere. Sire, ein Königreich für eine Karte!
Thomas Schumacher
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