Schriften zu Zeitschriften: Raving Bückware
■ Technobetrachtung aus dem Bleistiftgebiet: „House Attack“
Braucht Techno Worte? Während Westbam und Rainald Goetz in ihrem gemeinsamen Buch „Mix, Cuts & Scratches“ (siehe taz vom 11.4. 1997) noch einmal ihrer Erwartung Ausdruck geben, Techno mache endlich Musikjournalismus überflüssig, gibt Tobias Thomas im Editorial der 11. Ausgabe des Magazins House Attack das Gegenteil bekannt: „The Return of Musikzeitschrift“. Der Riß zwischen dem Mythos, Techno brauche keine Worte, und der Tatsache, daß schon so viele darüber gemacht wurden, hat zu einigen Irritationen geführt.
Seitdem es Techno als sogenannte Musikrichtung gibt, hat sich darum, wie bei allen anderen Musikrichtungen zuvor und seitdem, ein journalistisches Treiben entwickelt.
Immer wieder ist daran zu erinnern, daß die kürzlich pompös zugrunde gegangene Frontpage in den späten achtziger Jahren als kopiertes DIN-A-5-Heftchen in einem Frankfurter Club entstand. Das war der erste Versuch, einer neuartigen Musik und der mit ihr entstehenden Szene von Fans ein Forum zu geben. Ein irgendwie natürlicher Vorgang.
Es war also immer eine vorgeschobene Entschuldigung, Informationen über Techno seien nur Spezialisten zugänglich. Sie waren immer da. Man mußte allerdings den ersten Schritt tun. Deswegen war trotz der Häme über Ausverkauf und Größenwahn ein Aufatmen zu vernehmen, als dieselbe Frontpage – inzwischen superbunt und in angeblicher Auflage von 100.000 Exemplaren – 1995 einen Kioskvertrieb bekam. Nun war Techno auch schweißfrei für jene zu haben, die bis dahin nie einen Fuß in einen Club gesetzt hatten, wo das Heft bislang umsonst auslag.
Wurde in der Frontpage mit der Zeit der Ideologiegehalt immer stärker – Stichwort: Raving Society –, um Techno zu einem Movement zu machen, das zwar antipolitisch daherkommt, aber genau deswegen ein Gegenentwurf zu politischen Bewegungen und deswegen nie unpolitisch sein sollte, ging gerade dieser, vom Herausgeber Jürgen Laarmann durchaus penetrant forcierte Impetus einigen Leuten in der Technobewegung ziemlich auf den Nerv. Die in Köln erscheinende Zeitschrift House Attack ist Ausdruck davon.
Seit 1993 liegt das Heft alle drei Monate in den einschlägigen Plattenläden. Die Auflage ist, gelinde gesagt, knapp bemessen, so daß man schon Glück haben muß, ein Exemplar zu ergattern. Besser also, man freundet sich mit dem Plattenverkäufer seines Vertrauens an, der einem die begehrte Bückware reserviert. Die Zeitschrift gibt es umsonst, ist damit also noch eingereiht in die für Techno typische Publikationsweise.
Auf den ersten Blick unterscheidet sie sich aber von Blättern wie Groove oder Loop. Wie im Technomittelalter herrscht hier das Bilderverbot. Auf den Titelseiten keine mit Fotoshopkußmund drapierten jungen Frauen und keine Studiohelden. Wenn es hoch kommt, setzt die Layouterin Bianca Strauch schon mal David Bowie aus der späten Frühphase auf das Cover und datiert das Erscheinungsdatum des entsprechenden Heftes (es war die Nummer 8) auf April 1976. Inzwischen hat sich aber totale Abstraktion durchgesetzt. Die Nummer 11 schmücken 25 identische Dummyköpfe auf sattblauem Grund. Darunter im zarten Rosa auf weißer Fläche der Titel der Zeitschrift. Auch innen gemäßigt modernes Grafikdesign, Welten entfernt von hektischer Extremtypografie à la Alex Branczyk, der für das Frontpage-Layout verantwortlich war.
Konnte man bei seiner Arbeit noch das Vibrieren von „our techno world“ spüren und das Erzittern unter dem Druck, alle Aufgeregtheiten in einem Heft zu bannen, tritt House Attack mit einem exklusiven Image auf. Schon der quartale Erscheinungsrhythmus macht es unmöglich, die Plattenflut im Techno-/House-/Elektroniksektor zu repräsentieren. Die verhältnismäßig spärlichen Plattenbesprechungen sind als Menge schon Ausdruck strikter Selektion: Das, was hier vorkommt, hat manche Geschmackshürde überwunden. Die derzeit dreiköpfige Redaktion – Tobias Thomas, Jörg Burger und Uwe Buschmann – setzt also auf eine Leserschaft, die bereit ist, die Auswahlkriterien als ihre zu akzeptieren. Dazu bedarf es einer die Musik transzendierenden Position, die, wie versteckt auch immer, die Redaktionsgewalt nachvollziehbar macht.
Das übernimmt insbesondere Thomas' Kolumne „1.000 Zeilen House“. Der Autor präsentiert sich hier als grübelnder Zeitgenosse, hin und hergerissen zwischen romantischer Technobejahung (wie toll die Party letzten Freitag war!) und launischer Sinnstiftung mittels Nachrichten aus dem Bleistiftgebiet.
Die recht allgemeine Frage, was denn Liebe sei, wechselt hier ab mit der Erörterung, ob man nach 1.000 Zeilen morgens um halb vier noch einmal von vorn anfangen kann. Die Attitüde erinnert an jene der Fanzineschreiber vor gut zehn Jahren, die ihre Liebe zu Primal Scream und der Sängerin der Darling Buds in weltanschauliche Betrachtungen einbetteten.
Es ist deswegen nicht verwunderlich, daß Thomas in seinen Texten eher Blumfeld zitiert als die neueste von Techno inspirierte Subjekttheorie. Daß das hier durchscheinende Whimp-Rollenmodell sich im Jungmännerkokon gehalten hat und nun im Technogewand wiederbelebt wird, ist erstaunlich. Da nutzt auch der auf Sophistication machende Abdruck eines Larry-Clark-Fotos nichts. Der nackte Junge, der die Mündung einer Pistole ableckt, bestätigt in diesem Heft nur den Wunsch nach rebellischer Pose, die in den dann folgenden „1.000 Zeilen House“ zu einem einsamen Vergnügen wird. Martin Pesch
„House Attack“, erhältlich im Plattenladen oder unter der Tel.-Nr.: 0221-257 87 45
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen