: Windschiefe Romantikreste
■ Der Regisseur Elmar Goerden über die jüngere Generation von Theatermachern, über Arbeitsethos und Materialität, Zeitgenossenschaft und Konservatismus
taz: Das Theatertreffen hat sie kürzlich wieder aufgeworfen: die Generationsdebatte am Theater. Ivan Nagel sprach davon, daß der Generationswechsel längst stattgefunden habe, es gebe bereits viele dreißig- bis vierzigjährige „Kinder“ an den Theaterhäusern. Kann man diese Generation in einen Topf werfen?
Elmar Goerden: Über das Geburtsdatum wird vieles nivelliert. Einmal mit dem Altershobel drüber und erledigt. Als wollten wir alle zusammen ins Ferienlager. Aber das ist nicht so. Der jeweilige stilistische Zugriff, all das bis hin zum Theater-Menschenbild – das ist doch der Herzpunkt. Interessant wird es erst, wenn man Regisseure in ihrem Theaterverständnis vergleicht. So was haben Gerhart Willert und ich letztes Jahr mal privat veranstaltet.
Mit welchem Ergebnis?
Mit Differenzen. Da ging's um Zeitgenossentum. Was ist das eigentlich? Gerhart Willerts Herangehensweise ans Theater ist ja so, daß es Spiegel dessen sein soll, was ist. In überspitzter Form. Mir geht's jetzt nicht um den Königsweg, aber ich habe als Zeitgenosse auch die Möglichkeit zu sagen, ich sehe das alles wohl auch, ich teile die Diagnose, aber ich will sie auf dem Theater nicht noch mal herzeigen. Das ist ja die große Stärke von Theater, daß man querschießt, daß man sagt, ich trete jetzt mal auf die Bremse, halte die Zeit an oder versuche es zumindest.
Trotz der Unterschiede: Gibt es nicht auch etwas Verbindendes unter denen in den Dreißigern?
Was vielen gemein ist, glaube ich, ist die Affenliebe zum Instrument Theater. Nicht wie die Futuristen, die sagen: „Wir müssen auf dem Flugplatz oder in der Turnhalle Theater machen.“ Nein, das sind fast alles Regisseure, die sich mit dem Handwerk auseinandersetzen. Das sieht man bei Stefan Bachmann, Willert oder auch bei Karin Baier. Was kann Theater? Mag ich Schaupieler, oder will ich sie zuschnüren? Oder solche Phänomene wie den Souffleurkasten. Was kann man davon noch gebrauchen? Es ist gut, sich das mal anekdotisch anzuschauen.
Das klingt ein bißchen nach Flohmarktsyndrom.
Ja, aber es geht ja nicht darum, aus dem Theater ein Museum zu machen. Trotzdem, das scheint mir ein gemeinsames Interesse zu sein: ein frischer Zugriff auf bekanntes Material. So eine Lust auf Theatralität. Mit Achtsamkeit und so einem komischen Arbeitsethos in der Sache gegenüber einem Instrument. Ohne daß es heilig wird.
Also nicht das Schöne, Erhabene und Wahre auf der Bühne?
Um Gottes willen! Man kann doch auch witzig damit umgehen.
Die Gruppe Theater Affekt um Stefan Bachmann bezeichnet sich – halb provokativ, halb ernsthaft – als „neokonservativ“. Hat diese Rückbesinnung auf alte theatralische Mittel einen gesellschaftspolitischen Kontext? Gibt es gar eine entfernte Verwandtschaft zu den rechtsintellektuellen Thesen um den Bocksgesang? Die Sehnsucht nach Mystik, Heimat. Das Bewahren und Rückbesinnen als neue Entwicklung...
Nein, nein, da werde ich ganz fickrig. Man muß aufpassen; diese Debatte ist in erster Linie eine Ideologie. Das ist bei uns ja überhaupt nicht der Fall. Es geht nicht um Ideologie oder um eine Vereinigung auf bestimmte Wertigkeiten. Das sollte man nicht in einen Topf werfen.
Wie wichtig sind solche Debatten für Ihre Arbeit? Überhaupt: politisches Denken, Ideologien? Fließt das bei Ihnen irgendwie ein?
Natürlich, ich bin ja geradezu ein Literaturberserker, mein eigentlicher Beruf ist ja das Lesen. Allerdings interessieren mich eher die Debatten in der Bildenden Kunst oder in der Neuen Musik.
Zum Beispiel?
Die Debatte um Anselm Kiefer, also um Materialität. Wie geht man mit Gegenständlichkeit um? Wie behandelt man Dinge? Solche Sachen sind mir unheimlich wichtig. Das kann man auch bei „Blunt“ und bei „Ivanov“ sehen. Es geht nicht nur darum, was wir denken, wie wir reden, sondern auch darum, wie wir aussehen, was wir tun, was wir in der Hand haben. Was ist dann beispielsweise ein Wasserglas? Je nachdem, wie wir es aufladen, kann es plötzlich viel bedeuten. In der Bildenden Kunst wird ja auch oft gesagt, jede Art von Gegenständlichkeit sei Murks und führe zu nichts. Und Anselm Kiefer wird vorgeworfen, er sei konservativ. Unter anderem aufgrund seiner Art, Geschichtskomplexe in gegenständlichen Konfigurationen anzufassen.
Im Grunde genommen ist das ein unglaublich moderner Maler, obwohl er mit seinem inhaltlichen Kanon im Zweistromland hängt, mit der „Bibliothek von Babylon“ oder mit „Lilith“. Trotzdem hast du das Gefühl, er beschreibt in seiner Arbeit, wie man sich erinnert. Wie das Erinnern an Bilder oder Materialität gekoppelt ist. Das interessiert mich sehr. Bei meiner Arbeit an „Einfach kompliziert“ von Thomas Bernhard habe ich mich zum Beispiel intensiv mit James Ensor, dem belgischen Maler, befaßt. Da geht es immer um die Maske.
Für mich hat die Art, wie Sie Menschen auf dem Theater darstellen, etwas Konservierendes. Sie sind sehr subtil, nicht ganz von heute und auf eine spannungsreiche Weise altmodisch.
Zeitgenossenschaft heißt für mich, daß man im Theater eine bestimmte Art von Utopie entwirft. Ich habe es gern, wenn man auf der Bühne sieht, was für ein Tier das ist. Das geht natürlich nur mit bestimmten Theatertexten. Wieviel Schlechtigkeit und Güte ist der Mensch bereit, willens und in der Lage, an dem anderen Menschen zu verüben? Man muß den Figuren in ihrer Vielschichtigkeit darstellen, ohne daß das betulich wird. Und dabei eben nicht zu polemisieren, zu sagen, das sind alles Schweine oder Helden. Das hat Tschechow auch nicht getan. Da sucht man vergeblich nach diesem brechtschen Zeigefinger.
Das Tanztheater von Johann Kresnik zum Beispiel oder teilweise auch Sachen von Frank Castorf haben ja eine Wucht und Kraft, aber mir fehlt da immer was. Wenn die Welt so einfach wäre, so deutlich unterscheidbar zwischen den miesen Säcken und den Künstlern und Revoluzzern, dann hätten wir nicht die Probleme, die wir haben. Für mich ist der Aufhänger eher so ein durchschnittlicher Mensch wie Ivanov, der kein richtiges Schwein ist, aber auch kein armer Kerl.
Ivanov ist aber auch eine Figur des Utopieverlustes – ein ganz großes Thema unserer Zeit. Die einen Regisseure reagieren darauf mit absoluter Destruktion, die anderen mit Zynismus. Sie hingegen inszenieren lieber die Utopie, eine bedächtige Gegenwelt. Woher kommt dieses Anliegen?
Das ist der absolut innerste Punkt, meine Batterie. Vielleicht sind das auch ein paar Romantikreste. Man wünscht sich ja sinnhaftes Tun. Ich will wissen, wofür es sich lohnt. Wie windschief diese Gebilde auch immer sind. Natürlich halten sie nicht stand, sind keine Gebrauchsanweisung in dem Sinne: „Also, wenn man es so macht, dann sind wir gerettet.“ Aber das Festkrallen daran, das ist für mich eine Nabelschnur zur Vitalität. Für andere mag die Batterie Zynismus sein. Zynismus hingegen ist für mich in meiner Arbeit, in meinem Nachdenken eine Kraft, die mich beschädigt. Interview: Petra Brändle
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