Durchs Dröhnland
: Doris Day der 90er

■ Die besten und schlechtesten Konzerte der kommenden Woche

Wer glaubt, daß die Vorliebe für Reunions sich nur auf ausgesprochen ehrwürdige Herrschaften bezieht, wird von Agnostic Front eines Besseren belehrt. Die New Yorker lösten sich 1992 zwar auf, taten sich aber in diesem Jahr wieder zusammen in der Originalbesetzung von 1982, um noch einmal die Sache mit dem Hardcore zu machen, den sie damals ja irgendwie auch miterfunden hatten. Es sei ihnen gegönnt.

29.8., 20 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Man fragt sich ja, wozu GWAR eigentlich Platten machen. Ihr Dumpfbackenmetal hat nun wirklich nichts Besonderes, wenn es da nicht ihre Auftritte gäbe, die spekulativ, aber gekonnt die Bedürfnisse von Metal-Fans, Splatter- Heads, Sci-fi-Addicts und Trash-Liebhabern bedienen. Ihre monströsen Kostüme, eine Kreuzung aus Mad Max, Perry Rhodan und Römischem Reich, sind zumindest lustig anzusehen, das Herumspritzen mit gefärbtem Schlabberkram, der an Blut und andere Körperflüssigkeiten erinnern soll, wirkt manchmal sogar echt, und überhaupt sind Konzerte der Außerirdischen, die nach eigenen Angaben die Dinosaurier ausgerottet haben, dann kurzerhand die menschliche Rasse begründeten, indem sie es mit den Affen trieben, und wenig später Atlantis versenkten, ein echter Spaß. Eine Reinigung der eigenen Klamotten sollte allerdings auf jeden Fall bei den Kosten für einen gelungenen Abend mit einberechnet werden.

31.8., 21 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln

Joey, Dee Dee und Johnny bildeten über Jahrzehnte den beständigen Nukleus der Ramones. Der Schlagzeuger dagegen gebärdete sich eher als Wechselbalg, hieß zwar auch immer Ramone, aber mit Vornamen mal Tommy, Elvis oder eben auch Marky. Seit seinem Ausstieg ist der Mann mit dem bürgerlichen Namen Marc Bell als Erbbewahrer unterwegs. Marky Ramones and the Intruders haben die Erfolgsformel vom Ende der 70er kein Stück verändert: Hochgeschwindigkeitsgitarren, Surf- und Bubblegum-Melodien und vor allem Minimalismus.

2.9., 22 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 53–56, Mitte

Auch in den USA spielen die Medien mit Prominenten gerne das Mit-wem-würden-Sie-gerne-einen-Abend-verbringen- Spiel. Auf diese Frage antwortet mindestens jeder zweite männliche Befragte: Toni Braxton. Und gemeint ist natürlich, daß sich der Abend bis zum nächsten Morgen verlängern möge. Die 29jährige Tochter eines Priesters verkörpert das perfekte amerikanische Sexidol, zum einen so verführerisch, daß ihr bereits Verhältnisse zur halben NBA angdichtet wurden, zum anderen so keusch, daß sie zuletzt in Vibe versprach, keinen Sex vor der Ehe zu haben. Auf dem Cover des Magazins posierte sie nackt, schützte die entscheidenden Stellen aber wiederum mit den Händen. Doris Day für die 90er. Die ganze Sache ist so absurd wie typisch amerikanisch. Auf jeden Fall tritt die Musik dazu völlig in den Hintergrund. Ob das ihre zuckerwattesüßen, perfekt produzierten Soul-Balladen verdient haben, darf jeder selbst entscheiden.

2.9., 20 Uhr, Deutschlandhalle, Messedamm, Charlottenburg

„Die Leute sagen, ich sei ein Dinosaurier“, weiß Joe Cocker Bescheid, „mir ist Überlebender lieber.“ Und Jerry Moss, der Vorsitzende seiner zeitweiligen Plattenfirma A&M, hat einmal gesagt: „Die größte Leistung in der Karriere von Joe Cocker ist schlicht und einfach sein Überleben.“ Dazu sei ihm auch herzlich gratuliert. Aber muß es sein, daß ausgerechnet er sich von einem großen norddeutschen Bierbrauer sponsern läßt?

„Das paßt doch ganz gut“, freute sich der Mensch von der Plattenfirma bei der Präsentation. Cocker selbst sah die Sache noch pragmatischer: „Ist doch ein gutes Bier.“ Doch woher weiß der Mann das? In Ehrfurcht erstarrt wagte niemand die Frage zu stellen, die jedem auf der Zunge lag. Nik Cohn hat den 53jährigen mal als „geistesgestörte Windmühle“ beschrieben, ein Boulevardblatt als „Spastiker im Speisesaal“, aber immerhin kommt das Armwedeln nicht von den Alkoholexzessen aus den 70ern und 80ern.

Wenn man den ehemaligen Klempner aus Sheffield so anschaut, eigentlich sah er schon immer alt aus. Man kann sich nicht so recht entscheiden, ob man Mitleid mit ihm haben soll oder ihn eher bewundern, auf jeden Fall werden Abertausende Menschen wieder nur auf diesen legendären Schrei warten, der damals in Woodstock nur entstand, weil der gute Mann schon zuviel Rotwein getankt hatte.

2. und 3.9., Waldbühne 18 Uhr

O Hannover, du liegst dort inmitten der Republik, eingekeilt zwischen Ost und West, Nord und Süd, aber halt auch unbelastet. Du hast kein Imageproblem, denn du hast kein Image, keiner erwartet was von dir. Vielleicht entsteht deshalb gerne ausgerechnet in Hannover Musik, die sich nicht um übermächtige Vorbilder schert und statt dessen unbekümmert drauflosmacht, als hätte man die Sache höchstselbst erfunden: Die Scorpions haben diesen psychologischen Vorteil in einen hübschen Batzen Geld umgesetzt. Famous In 9 Years scheinen auf Ähnliches zu hoffen. Das Quintett versucht sich allerdings mit Geige, Saxophon, Mundharmonika, Akkordeon und Gesang an fröhlich vorangehender Folkmusik. Die leicht ins Hysterische umkippende Melancholie der Klassiker aus Britannien und Irland geht unseren Hannoveranern allerdings ab. Bei ihnen hört man den Schwarzbierkater nicht heraus, der normalerweise am nächsten Morgen folgt, wenn man die Party feiert, die hier propagiert wird.

4.9., 22 Uhr, Duncker,

Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei! Thomas Winkler