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Lebensmüde Jugendgreise

Engagierter Deutschunterricht, artig vordergründig: Die Tribüne ehrt Wolfgang Borchert mit der Collage „Pack das Leben bei den Haaren“, einer Revue aus kurzen Szenen, Liedern und Gedichten des früh verstorbenen Klassikers  ■ Von Axel Schock

Einen Tag vor der Uraufführung seines einzigen Stücks „Draußen vor der Tür“ verstarb Wolfgang Borchert 1947, gerade mal 26 Jahre alt. Dieses eine Schauspiel wurde für ganze Generationen Pflichtlektüre im Deutschunterricht, es gilt als ureigene Stimme der deutschen „lost generation“ – die um ihre Jugend betrogenen Kriegsheimkehrer. Am 20.November jährt sich Borcherts Todestag zum 50. Male.

Die Tribüne setzt nun eine stolz als Uraufführung betitelte Szenencollage aus dem schmalen Werk Borcherts an den Beginn ihrer neuen Spielzeit, die das Charlottenburger Theater mit „Deutschland. Ein Wintermärchen“ überschrieben hat. Stimmen und Bilder zu Deutschland – von Heine über Sternheim bis Brecht sollen den Spielplan in den nächsten Monaten bestimmen.

Vier Schauspieler auf einer kargen Bühne mit wenigen, aber bedeutungsschweren Requisiten: ein Stahlhelm, eine Lichterkette aus kleinen Glühlämpchen, eine kärgliche Topfpflanze; eine Leiter, die in den Abgrund führt, ein Volksempfänger. Laut und wirr, mit neoexpressionistischem Pathos klirren die kurzen, abgehackten Sätze in den aus Prosatexten und Gedichten zusammengestellten Szenen (Buch und Regie: Rainer Behrend). Das bleibt recht lange merklich fern und ausgestellt, wenig lebendig und sehr museal: ein Dichter wird in seiner Zeit vorgeführt, samt seiner Wunden und Schmerzensschreie.

Vieles bleibt seltsam blutleer, hölzern. Die Szenenfolge erinnert mehr an den bemüht engagierten Deutschunterricht als an eine neue, aktuelle Sicht auf diesen jungen Klassiker der Nachkriegsliteratur. Hoffnung gab zunächst noch das Programmheft, wo man zurecht auf Peter Rühmkorfs Antilektüre verweist: Borchert sei letztlich ein „verhinderter Komödiant“ gewesen. Andreas Kriegenburg hatte zuletzt mit seiner Münchner Inszenierung, die auch zum Theatertreffen eingeladen war, den halbwegs überzeugenden Versuch unternommen, das Kriegsheimkehrerdrama als Groteske fern von Sentimentalität und Betroffenheitskult zu interpretieren. Derlei ist bei der „Tribüne“ nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Savin Sutter etwa bleibt als Kabarettdirektor oder als rülpsender Tod artig vordergründig und aufgesetzt komisch. Aus all diesen verlogenen Reden und diesem abgrundtiefen Zynismus ließe sich weit mehr schauspielerisches Kapital schlagen.

Erst wenn Rainer Behrend und sein vierköpfiges Ensemble sich auf tatsächliche Szenen und Figuren einlassen, bekommt der Abend Form und Borcherts Gestalten Konturen jenseits des „O Mensch!“-Pathos; etwa wenn Torsten Waligura Beckmanns vielzitierten Alptraum vom Knochen- Xylophon aus „Draußen vor der Tür“ erzählt; wenn Guido Kleinedam aus Borcherts Erzählung „Die Küchenuhr“ zu einem eindringlichen, gefühlvollen wie bewegenden Stück Rollenprosa macht oder eine mißglückte Liebesnacht mit einer jungen Prostituierten (Marion Musiol) aus dem kriegsgestählten Kerl wieder einen hilflosen, schutzbedürftigen Jungen macht. Dann schimmert hinter diesen Geschichten der stille Schrecken auf, ist die Verzweiflung und Trauer einer Jugend, die die Last des Krieges nicht los wird, zu spüren, zu sehen und zu hören. Solche Szenen bleiben leider rar; aber gerade diese Momente sind es, die Borchert ebenso wie seiner Generation der „20jährigen Greise“ gerecht werden, für die er Sprecher und Zeuge sein wollte.

Heute und morgen 20 Uhr, 23.–27.9., Otto-Suhr-Allee 18

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