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„Schöne Märchenstunde“ im Gericht

Im Prozeß gegen zehn Polizisten haben die Belastungszeugen kaum eine Chance. Selbst wenn das Opfer überzeugt ist, haben Polizeibeamte mit Sicherheit das Gegenteil davon gesehen  ■ Von Plutonia Plarre

Egal ob im Mannschaftswagen oder im Gerichtssaal: Die 16 angeklagten Polizisten des 1. Zug der Direktionshunderschaft 6 halten zusammen wie Pech und Schwefel. Nachdem sechs Angeklagte am vergangenen Dienstag in einem Teilurteil vom Vorwurf der Strafvereitelung freigesprochen worden waren, kamen gestern einige von ihnen als Zuschauer, um den verbliebenen zehn Kollegen auf der Anklagebank die Daumen zu drücken. Er habe die „schöne Märchenstunde“ im Gerichtssaal nicht missen wollen, witzelte einer.

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Polizei, wenn „Märchenstunde“ alles ist, was bei der Truppe von dem Prozeß haften geblieben ist. Seit Wochen versucht Amtsrichter Hagen Sendt Licht in das Dunkel der zwölf Fälle umfassenden Anklageschrift zu bringen. Hauptbeweismittel sind die Aussage des 23jährigen Polizisten Christian M. und ein Videofilm von einem gewalttätigen Polizeieinsatz in der Silvesternacht 1993/94. Bis auf einen teilgeständigen jungen Polizeimeister bestreiten die Angeklagten sämtliche Vorwürfe und versuchen den Kronzeugen als unglaubwürdigen Spinner abzutun. Der Mann wurde schon während seines Dienstes in der Truppe von den Kollegen heftig schickaniert. Auch im Gerichtssaal wurde der schmächtige Zeuge nicht geschont. Die Übermacht der 16 Verteidiger war einfach zu groß. Bei einigen Anklagepunkten hatten die Anwälte leichtes Spiel, weil der vom Streß des dreijährigen Ermittlungsverfahrens gezeichnete Kronzeuge aus der Erinnerung keinerlei Angaben mehr machen und einige Widersprüche in den Protokollen seiner kriminalpolizeilichen Vernehmungen nicht aufklären konnte.

Auf der Anklagebank sah man feixende Gesichter, als ein Punkt an die Verteidigung ging. Ein Polizist hielt sogar seinen nach oben gerichteten Daumen in den Raum. Der Freispruch für die sechs Beamten läßt nun auch die verbliebenen zehn sichtbar hoffen. Drei von ihnen sind wegen mehrerer Übergriffe auf Festgenomme angeklagt, für diese gibt es aber meist nur Christian M. als Augenzeugen. Die Festgenommen selbst konnten nicht als Zeugen geladen werden, weil nicht mehr ausfindig gemacht werden konnten. Der Grund ist, daß der Kronzeuge erst im Herbst 1994, also Monate nach den Taten, ausgepackt hatte. Die Kripo zog zwar die früheren Einsatzberichte zu den Ermittlungen heran, aber darin waren einige Namen von Betroffenen nicht verzeichnet.

Aber selbst wenn das Opfer des Übergriffs bekannt ist, muß dies noch lange keine Verurteilung bedeuten. Ein Lehrstück dafür war der gestrige Prozeßtag. Es ging um einen Vorfall am 7. Oktober 1993 am Tag der Räumung der Wagenburg am Engelbecken in Kreuzberg. Beamte des 1. Zuges hatten die Kreuzung Leuschnerdamm Ecke Waldemarstraße abgesperrt, als sich der 34jährige Bühnentechniker Henry E. auf seinem Fahrrad näherte. Laut Anklage trat ihm der Polizeihauptmeister Frank F. ohne Vorwarnung „so abrupt in den Weg“, daß der Radfahrer mit ihm zusammenprallte und zu Boden stürzte. Der Beamte F. bestritt dies. Andere Polizeizeugen, darunter einige der Angeklagen, erklärten, der Radfahrer habe F. angefahren und diesen dann noch mit den Worten beleidigt: „Haste 'ne Macke?“ Das Verfahren gegen den Bühnentechniker wurde eingestellt. Der Mann, der selbst gar nicht erst Anzeige gegen den Beamten erstattet hatte, weil er offenbar wußte, was daraus folgt, belastete einen der Angeklagten gestern schwer. Der Beamte F. sei ihm aus dem Mannschaftswagen ins Rad gesprungen und habe ihm den Lenker umgedreht: „Ich stürzte dabei zu Boden.“ Auch auf Nachfrage blieb der Zeuge dabei, daß der Beamte absichtlich so gehandelt habe. „Wir hatten Blickkontakt, bevor er sprang.“

Weil die anderen Polizisten jedoch sagen, daß F. die ganze Zeit auf dem Bordstein stand, also nicht sprang, wird der Fall vermutlich mit einem Freispruch im Zweifel für den Angeklagten F. ausgehen. Dabei hatte der Bühnentechniker gestern noch mehr zu berichten. Bei der Personalienüberprüfung im Mannschaftswagen habe er von einem anderen Polizisten zwei Schläge erhalten und sei als „Schwein“ beschimpft worden. „Die Stimmung der Beamten war sehr provokativ“, erinnerte sich der Zeuge. Er selbst habe sich erst wieder beruhigt, als 20 Minuten später „die Polizei kam“. Er meinte damit zwei Verkehrspolizisten, die dazukamen.

Die „Märchenstunde“ wird am kommenden Dienstag möglicherweise schon mit den Plädoyers fortgesetzt.

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