: Arsenal des Lebens
„Fever Pitch“ zeigt Fußball als Haltung. Die Verfilmung von Nick Hornbys Essay dampft das schwere Dasein als Fan zu einer Liebesgeschichte ein ■ Von Harry Nutt
„Was ich mehr als andere brauchte“, schreibt Nick Hornby in seinem autobiographischen Buch „Fever Pitch“, „war ein Ort, an dem ziellose Unglückseligkeit gedeihen konnte. Ein Ort, an dem ich still sein kann, mir Sorgen machen und den Kopf hängen lassen konnte.“ Der Highbury Park, das Stadion von Arsenal London, wurde für den jungen Hornby zum Spielfeld seines pubertär-depressiven Lebensgefühls. Mindestens in diesem Punkt bleibt der Fußballfan immer 13. Für einen echten Fan kann Fußball nun einmal nicht die schönste Nebensache der Welt sein. Es ist bitterer Ernst.
Diese Erfahrung muß auch die Lehrerin Sarah (Ruth Gemmell) machen, als sie sich in ihren rüde- charmanten Kollegen Paul (Colin Firth) verliebt. Die große Kränkung ist abzusehen. Kann einer, der Fußball liebt, überhaupt eine Frau begehren? Nie wird sie in seinem Leben den Platz einnehmen können, den die obsessive Begeisterung für einen Sport besetzt hält. Die ganz normale Geschichte einer unglücklichen Liebe also. Nur hat sie so noch niemand am Gegenstand Fußball erzählt. Das liegt vor allem auch am Genre Sporterzählung, die meist nicht ungestraft mit authentischen Mitteln in das Hoheitsgebiet der Authentizität einbricht.
Sarah zieht es im weiteren Verlauf in eine Situation, die Suchtforscher als eine Form der Koabhängigkeit bezeichnen würden. Sie lernt Mannschaftsaufstellungen, bangt vorm Fernseher für Arsenal und muß doch erkennen, daß sie die in über 20 Jahren erlernte Besessenheit Pauls nicht begreifen wird. Im Grunde könnte alles so einfach sein. Paul ist ein intelligenter, unkonventioneller Lehrer, der nicht zuletzt wegen seiner Fußballverrücktheit bei den Schülern beliebt ist und sogar zum Korektor aufsteigen soll. Ein Leben, in dem man sich trotz Fußball einrichten könnte. Vermutlich ist die kindliche Begeisterungsfähigkeit für Arsenal und nichts als Arsenal sogar der Kern ihrer Liebe. Doch dann gibt es Nachmittage, an denen Sarah mit ins Stadion geht, sich im Fanblock herumschubsen lassen muß, ohne daß Paul sie auch nur eines Blickes würdigen würde. Beim Spiel ist er Fan, nicht sorgender Partner. Daß die Geschichte trotz ihres monomanen Inhalts in den 105 Minuten nicht langweilig wird, hat vor allem damit zu tun, daß Regisseur David Evans, der mit „Fever Pitch“ seinen ersten Kinofilm gedreht hat, nichts erklären will. Die Rückblenden in die Kindheit Pauls zeigen den langen Verlauf einer Fan-Initiation, aber sie deuten ihn nicht. Fußball ist eine Haltung, keine Krankheit.
Wie in einer richtigen Sportgeschichte gibt es am Ende natürlich einen Sieg zu feiern. Am 26. Mai 1989 wurde Arsenal britischer Fußballmeister. Das ist auch der dramaturgische Höhepunkt des Films. Ohne den Gewinn der Meisterschaft hätte Hornby sein Buch vermutlich niemals schreiben können, zumindest wäre es um einige wichtige Kapitel ärmer. Das letzte Spiel gegen Liverpool ist auch der dramatische Höhepunkt der Liebesgeschichte. Als Sarah während des Spiels an Pauls Tür klingelt, macht er, der in der zweiten Halbzeit die schrecklichste halbe Stunde seines Lebens durchlebt, nicht auf. Sie fährt mit dem Taxi zum Highbury Park, wo die Arsenal-Fans den Sieg auf der Straße feiern. Im Moment ihrer größten Enttäuschung erahnt sie etwas von der tiefen Bedeutung des Fan- Seins nach dem Sieg.
„Fever Pitch“, der Film, wird den Fußballfreund nicht enttäuschen, und FußballhasserInnen werden aus ihm nichts lernen. Das ist die ontologische Bestimmung dieser Geschichte. „Don't try this in the cinema.“ Überflüssig zu erwähnen, daß „Fever Pitch“, das Buch, noch ganz andere Tiefen der Leidenschaft auslotet. Wer sich für Fußball interessiert, weiß das schon.
„Fever Pitch“. Regie: David Evans, Drehbuch: Nick Hornby. Mit Colin Firth, Ruth Gemmell u.a. GB 1997, 105 Minuten
„Ballfieber“ von Nick Hornby ist auf deutsch 1996 im Verlag Rogner und Bernhardt bei Zweitausendeins erschienen
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