: Neonazis mischen Voscherau auf
NPD sprengt SPD-Fest. Trotz Hinweisen keine Polizei vor Ort. 2000 Beamte hingegen bei Demo gegen Rechts ■ Von Marco Carini und Andreas Speit
Die NPD machte ihre Ankündigung wahr. Statt einer ursprünglich geplanten Kundgebung, so hatte es Klaus Beier, Pressesprecher der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in der Nacht zum Samstag in mehrere Hamburger Redaktionen gefaxt, würde sie „am 13.09. eine spektakuläre Aktion im Hamburger Wahlkampf machen“. Kurz nach 16 Uhr tauchten dann knapp 40 Neonazis bei einem SPD-Sommerfest in Hamm auf und sprengten die Wahl-Veranstaltung Henning Voscheraus.
Unter Leitung des Berliner JN-Funktionärs Andreas Storr übernahmen die Rechten das „Bürgermikrophon“und diktierten dem Bürgermeister die Themen. Als sie dann Voscherau lauthals als „Arbeiterverräter“beschimpften, brach dieser seinen Auftritt ab und ließ sich, von seinen Bodyguards geschützt, von der Bühne führen. Während auch viele nicht der JN zuzurechnende Festgäste den Neonazi-Parolen Applaus zollten, hatten die meisten ausländischen ZuhörerInnen angesichts der rassistischen Äußerungen der rechten Redner das Fest bereits verlassen.
Obwohl 2000 Polizisten aus ganz Norddeutschland am Samstag in Hamburg zusammengezogen worden waren, um die zu diesem Zeitpunkt bereits beendete Antifa-Demonstration zu „begleiten“, waren während der NPD-Aktion in Hamm nur drei Streifenpolizisten vor Ort. Dabei war Polizei-Pressesprecher Reinhard Fallak von einem Journalisten bereits am Vormittag davon unterrichtet worden, daß die JN eine Aktion plante, die über eine Handy-Nummer des JN-Sprechers Beier bekanntgegeben werde. Anders als mehrere Demo-TeilnehmerInnen, die sich telefonisch kundig gemacht hatten, trafen die polizeilichen Einsatzkräfte erst eine halbe Stunde nach Abbruch des Voscherau-Auftritts ein.
Mit hochgerüsteten Polizei-Ketten wurde hingegen die friedliche Demonstration von rund 4000 Menschen in der Hamburger Innenstadt „begleitet“. Mehrfach mußte der Protestzug gegen den geplanten NPD-Aufmarsch und den „Law-and-order“-Wahlkampf von SPD und CDU unterbrochen werden, weil die Einsatzleitung das polizeiliche Massenaufgebot nicht abziehen wollte. Obwohl die Organisatoren vom „Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus“immer wieder betont hatten, daß die Demonstration friedlich bleiben werde, hatte Polizeipräsident Ernst Uhrlau die massive Polizeipräsenz damit begründet, daß „Militanz von Teilen des Zuges“wahrscheinlich sei. Gegenüber den Veranstaltern hatte die Polizei allerdings gleichzeitig bekundet, Hinweise auf zu erwartende gewalttätige Auseinandersetzungen lägen nicht vor.
Die RednerInnen der Demonstration kritisierten vor allem, daß die markigen Wahlkampf-Parolen von SPD und CDU zum Thema Innere Sicherheit und Ausländerkriminalität den rechtsextremen Parteien WählerInnen zutreibe. Daß die Akzeptanz der Ultrarechten in Hamburg erneut gestiegen ist, belegt eine am Samstag veröffentlichte Infratest-Wahlumfrage. Danach stieg das rechtsextreme WählerInnenpotential auf zehn Prozent (1993: acht Prozent), wobei die Deutsche Volksunion bei der Bürgerschaftswahl mit rund vier Prozent (1993: 2,8 Prozent) der Stimmen rechnen kann. Die Republikaner (1993: 4,8 Prozent) liegen laut Infratest bei zwei Prozent; eine gleichzeitig veröffentlichte Studie des Meinungsforschers Emnid ermittelte jedoch vier Prozent und sieht den Einzug der Reps in die Bürgerschaft „durchaus im Bereich des Möglichen“.
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