: Filzig, zerknirscht, abgestraft
Die SPD ist die große Verliererin der Bezirkswahlen. In vier von sieben Parlamenten zieht zudem die rechte DVU ein ■ Von Heike Haarhoff
Zerknirschte Sozis, sicher. Unmut bei der SPD? Doch, ja, auch. Vor allem über den Wahlerfolg der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU), die am Sonntag in vier der sieben Bezirksparlamente eingezogen ist. Aber Selbstzweifel? „So falsch ist die sozialdemokratische Politik nicht gewesen“, kommentierte der Harburger SPD-Fraktionschef Manfred Hoffmann gestern, ohne mit der Wimper zu zucken, das fatalste Wahlergebnis für die Sozialdemokraten seit Kriegsende.
Fast fünf Prozent hat die SPD in Harburg gegenüber 1993 verloren, während die CDU um genauso viele Prozentpunkte zulegen konnte. Die GAL stagniert bei knapp zwölf Prozent, und fast jeder neunte Harburger wählte rechtsextrem, rechnet man die Ergebnisse von DVU (7,5), Republikanern (3,5) und NPD (0,3) zusammen. Besonders in den Großwohnsiedlungen Kirchdorf-Süd, Sandbek und Neuwiedenthal mit ursprünglich klassischer SPD-Arbeiterklientel, so Hoffmann, sei seine Partei erneut „abgestraft“worden. Dabei habe die SPD „schon nach 1993 auf die Problematik der Großwohnsiedlungen reagiert. In Wilhelmsburg haben wir die Fehlbelegungsabgabe abgeschafft.“
Offenbar hat das den BürgerInnen auch in Wandsbek, Bergedorf und Mitte nicht gereicht. Auch hier gelang den Rechten der Sprung in die Parlamente, meist über die Stadtteile mit großer Armut, der höchsten Arbeitslosigkeit oder hohem Ausländeranteil. Die große Verliererin ist die SPD. Ob in Bergedorf, Nord oder Eimsbüttel: Sie büßte zwischen drei und fünf Prozent ein, in Mitte nach mehr als 40 Jahren sogar die absolute Mehrheit. In Wandsbek sind die Koalierenden SPD und CDU nach der neuen Sitzverteilung (je 16) jetzt gleich stark. Ob das Bündnis weiterbesteht, vermag niemand zu sagen. „Eine Liebesheirat war das von Anfang nicht“, seufzt SPD-Fraktionschef Ingo Egloff.
Im bislang rotgrün regierten Altona ist seit Sonntag die CDU mit 32,6 Prozent und 16 Sitzen stärkste Fraktion (SPD: 15 Sitze). Das schockt weder den dortigen SPD-Kreischef Olaf Scholz noch den GAL-Kreisvorstand Peter Schwanewilms: „Das hatten wir früher schon mal.“Der Parteipräferenz der Wählerklientel in den Elbvororten Blankenese und Nienstedten ist sich Schwanewilms bewußt. Daß die rotgrüne Koalition – allein schon als landespolitisches Signal – fortgesetzt wird, hoffen sowohl viele SPDler als auch GALier. Offiziell aber mag sich noch niemand zu dieser Äußerung hinreißen lassen.
Die GAL stagniert derweil als drittstärkste Fraktion in allen Bezirken zwischen 11,9 (Harburg) und 21,5 Prozent (Eimsbüttel), wobei sie mit einem Zugewinn von zwei Prozent am stärksten in Nord zulegte. Daß dort die lockere Kooperation mit der SPD fortgesetzt wird, können sich viele Nord-Grüne vorstellen. Ebenso plädieren Eimsbüttel und Bergedorf dafür, weiter mit wechselnden Mehrheiten zu regieren.
Zumal sich seit Sonntag Hoffnung anbahnt, daß die Bezirksverwaltungsreform, die einzig die Verwaltung und die Position des Bezirksamtsleiters stärkt, die Bezirksparlamente faktisch aber entmachtet, zugunsten mehr dezentraler Demokratie gekippt werden könnte: „Der Gesetzentwurf dazu ist fertig“, frohlockt der GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schmidt. Und CDU-Pressesprecher Gerd Boysen bestätigte gestern, daß die CDU-Fraktion ihn schnellstmöglich auf einer der ersten Bürgerschaftssitzungen der neuen Legislaturperiode mit den Grünen durchsetzen werde – „unabhängig davon, wer später auf Landesebene Koalitionspartner der SPD wird“. Bezirkskoalitionen, so Schmidt, seien also durchaus wieder lohnenswert: „Nach unserem Gesetzentwurf wird der Bezirksamtsleiter nicht das letzte Wort haben, sondern das Parlament.“
Dessen ungeachtet bereitet man sich in Mitte auf wechselnde Mehrheiten vor: Mit der als „rechts“und „filzig“verschrieenen SPD wollen weder GAL noch CDU koalieren, und zum Bedauern der CDU mögen die Grünen die Schwarzen wegen ihrer Flüchtlings- und Sozialpolitik nicht. Die SPD-Harburg strebt neuerdings – notgedrungen – eine Koalition mit den bislang so verhaßten Grünen an, um, so SPD-Chef Hoffmann, „so etwas wie eine Orientierung nach Hamburg zu haben“. Nur mit den Rechtsextremen schließen alle demokratischen Parteien die Zusammenarbeit aus.
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