Mit Sicherheit doch kein Rechtsruck in Hamburg

GAL wird zweitstärkste Partei bei den unter 45jährigen. Flächendeckende Schlappe für Rot und Grau. Voscherau schwächt die SPD. Mehr als 12 Prozent der Männer zwischen 18 und 25 Jahren wählten DVU  ■ Von Florian Marten

Rechtsruck? Quatsch! Ole von Beust ein strahlender Wahlsieger? Absoluter Unfug! Voscherau am Debakel schuld? Durchaus wahr! GAL mühevoll stabilisiert? Falsch! Großsiedlungen und Innenstadt-slums eine Hochburg der Rechtsradikalen? Nicht ganz richtig! – Das über Nacht in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragene Zahlen- und Analysegebirge des Statistischen Landesamtes, ein immerhin gut 150 Seiten starker Band, räumte gestern mittag gründlich mit einigen im Wahlabendfieber geborenen Wahllegenden auf.

Zum Beispiel Rechtsruck: „Ich kann keine Hinwendung zu den rechten Parteien entdecken.“Landeswahlleiter Wolfgang Prill, der den ganzen Wahlabend mit den Zahlen der DVU kämpfte, um nur ja kein falsches Wahlergebnis abzuliefern, konnte auch gestern bei der Präsentation der Analyse keinen Beleg für einen Rechtsruck finden. DVU, Reps und NPD erhielten zusammen mit 6,9 Prozent sogar weniger als die 7,6 Prozent des Jahres 1993. Nur wenn die 1,3 Prozent des Bundes Freier Bürger hinzugepackt werden, ergibt sich eine geringe Steigerung.

Ansonsten tauschten DVU und Reps einfach die Plätze. Fehlten den Reps 1993 1.430 Stimmen, so verpaßte diesmal die DVU das Rathaus um 230 Stimmen. Zwar wird das Wahlergebnis bis Freitag überprüft – die Landeswahlleitung hält aber eine Korrektur über die magische 5-Prozent-Hürde für unwahrscheinlich.

Zum Beispiel CDU-Wahlsieg: Eindrucksvoll wuchsen am Sonntagabend die bunten Balken in den Farbcharts der Fernsehsender, wenn es um die Zuwächse der CDU ging. Ole von Beust war für viele Medien schnell der „strahlende Wahlsieger“. Dabei konnte die CDU lediglich ihr Desaster von 1993 abmildern, als sie auf 25,1 Prozent abstürzte. Ihr aktuelles Wählerpotential aber, so die Kritik der Analytiker an Strahlemann Beust, konnte die Union lediglich zu gut 70 Prozent ausschöpfen. Lag die CDU früher bei Bürgerschaftswahlen immer deutlich über ihren Bundestagsergebnissen, so war es diesmal genau umgekehrt.

Zum Beispiel Voscherau: Noch nie hat die SPD ihr Wählerpotential in Hamburg so wenig ausgeschöpft – und dies gegen den Bundestrend. Die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen analysierte gestern: „Die SPD hat den entscheidenden Fehler gemacht, im Wahlkampf die innere Sicherheit zu ihrem Hauptthema zu machen.“Erst der Wahlkampf puschte das Thema in die Hitliste der Wahlmotive – und darunter litt die SPD, weil die Wähler ihr in Sachen Sicherheit nichts zutrauen.

Zum Beispiel GAL: Nur 0,4 Prozentpunkte zugelegt, obwohl die SPD klar verlor. Ein bescheidenes Ergebnis? Ein genauerer Blick auf die Zahlen sorgt vielleicht doch für Freude und Zukunftsoptimismus: Erstmals stellen die Frauen die Mehrheit der GAL-WählerInnen. Und: Bei den unter 45jährigen hat die GAL (25 Prozent) die CDU (18%) inzwischen abgehängt und sich an die SPD (34%) herangepirscht. Die GAL hat damit die jüngste und weiblichste Wählerschaft – was ihr WählerInnenpotential für die Zukunft weiter ansteigen lassen dürfte. Selbst bei der Generation Voscheraus (45-60jährige) reichte es diesmal schon zu 12,9% – 1993 waren es erst 8,4%. Allein bei den SeniorInnen bleibt die GAL mit 3,1% weit abgeschlagen.

Zum Beispiel Jungwähler: Während die Reps 1993 sich hauptsächlich auf alte Männer stützen konnten, kam die DVU diesmal bei den Jungwählern zwischen 18 und 25 auf sensationelle 12,4 Prozent. Nur die Klugheit der Frauen (knapp vier Prozent wählten DVU) verhinderte, daß die Männer ihre DVU ins Parlament hievten.

Zum Beispiel Wahllandkarte: Neonazis in Neugraben-Süd, grüne Yuppies in Blankenese, CDU-Omis in den Walddörfern und rote Restwähler in Altona – die Vorurteile über die regionale Wählergunst gehen haarscharf an der Realität vorbei. Auffällig: Je höher der SPD-Anteil (Veddel: 51,2%; Steilshoop: 47,7%), desto höher die Stimmenzahl der DVU. Allein in St. Pauli und St. Georg ist das anders: Hier korrespondieren hohe GAL-Anteile (in St. Pauli sind die Grünen stärkste Partei) mit hohen DVU-Anteilen. Schwerpunkt der DVU ist der Kranz alter Arbeiterstadtteile von Heimfeld über Wilhelmsburg und die Veddel bis nach Horn und Rahlstedt. Die Grünen, die in St. Pauli, Ottensen, Altona, Eimsbüttel und Rotherbaum ihre Hochburgen halten, haben diesmal besonders im Norden zulegen können – von Barmbek über Winterhude bis Fuhlsbüttel und weit hinein in die Walddörfer.

Die CDU-Bastionen liegen an den Rändern der Stadt, in den Reichtumszipfeln im Norden (Wellingsbüttel bis Duvenstedt) und Westen (Othmarschen bis Rissen). Eingeklemmt zwischen die Schwerpunkte der GAL (City) und der CDU dominiert die SPD noch immer in den klassischen Arbeitervierteln.

Geht es diesen Vierteln schlecht, dann verliert die SPD kräftig: So ging ihr Stimmenanteil in Stadtteilen mit einem hohen Sozialhilfeanteil von 54 Prozent 1991 über 46% in 1993 auf jetzt 41% zurück. In Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit brach sie von einst 54 auf 40 Prozent ein. DVU und Reps dagegen blieben hier gegenüber 1993 unverändert bei 11 Prozent.

Hätte die SPD vielleicht einen Wahlkampf gegen die Arbeitslosigkeit führen sollen?