piwik no script img

Aus dem hanseatischen Senatspräses wird ein Ministerpräsident

■ Am Wahltag schlug Hamburgs neue Verfassung zu: Erster Bürgermeister wird Regierungschef, der Senat ist endlich sterblich und die Bezirksversammlung wird zur Lachnummer

Für das Politsystem Hamburgs wurden mit dem Wahltag wichtige neue Spielregeln für den Senat und die Bezirke wirksam. Die Macht des Ersten Bürgermeisters wird deutlich gestärkt, der Senat dagegen geschwächt. Erheblich an Macht verlieren auch die Bezirksparlamente. Dafür gewinnt die Bürgerschaft ein bißchen mehr Einfluß: Wenn die neue Volksvertretung am 8. Oktober um 15 Uhr erstmals zusammentritt, ist es mit der Herrlichkeit des bislang „Ewigen Senats“zu Ende.

Dieses Überbleibsel alten Patrizierfeudalismus sicherte der Regierung solange die volle Amtsgewalt, bis die Bürgerschaft einen neuen Senat wählte. Zuletzt nutzte die SPD dies von Ende 1986 bis zum Mai 1987 und erzwang damit Neuwahlen zu ihren Bedingungen. Die Chance für derartige Hängepartien wird jetzt deutlich geringer: Der alte Senat ist ab 8. Oktober nur noch geschäftsführend im Amt.

Allerdings: Aus dem auch von der Opposition unterstützten Versprechen des rot-grauen Senats, bis 1997 eine Jahrhundertreform mit Parlaments-, Wahlrechts-, Verfassungs- und Verwaltungsreform auf die Beine zu stellen, ist nichts geworden. Mit der Verfassungsreform (Sommer 1996) und der Novellierung des Bezirksverwaltungsgesetzes (Sommer 1997) wurde nur ein – oft noch verwässerter – Teil jener 100 Einzelvorschläge verwirklicht, welche eine unabhängige Enquete-Kommission entwickelt hatte. Der Reformeifer strandete vor allem an Bürgermeister Voscheraus Hang zum demokratischen Zentralismus, der Faulheit der CDU-Abgeordneten, die sich gegen Professionalisierung sträubten, und am sozialdemokratischen Machtfilz.

Das Ergebnis: faule Kompromisse in Sachen Parlamentsreform, eine in sich widersprüchliche Bezirksverwaltungsreform (mehr Aufgaben, noch weniger Demokratie) und das an der inneren Befindlichkeit von CDU und SPD gescheiterte neue Wahlrecht mit Wahlkreisen. Auch die vorgeschlagenen Anti-Filz-Regeln, welche die Unvereinbarkeit für Amt und Mandat bei Führungsjobs im Öffentlichen Dienst verschärfern wollten, blieben im Kleingedruckten hängen. Es bleibt dabei: Hamburgs Parteien können einen guten Teil ihres politischen Personals straflos im Öffentlichen Dienst gutes Geld verdienen lassen.

Auch wenn die Reform Stückwerk blieb und das Hamburger Stadtparlament deshalb in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen wird, werden neben den bereits eingeführten Neuerungen (Volksbegehren und Volksentscheid, Abschaffung des „Feierabendstatus“für Bürgerschaft und Abgeordnete) mit dem Wahltag einige wichtige Veränderungen wirksam.

Die auf den ersten Blick bedeutsamste betrifft den Regierungschef. Hamburgs nächster Erster Bürgermeister, ausgestattet mit Richtlinienkompetenz, direkt von der Bürgerschaft gewählt und nur durch ein konstruktives Mißtrauen aus dem Amt zu kippen, besitzt endlich jene Machtfülle, über die seine Amtskollegen in den übrigen Bundesländern schon längst verfügen. Das frühere Kollegialorgan des Hamburger Senats, in welchem der Erste Bürgermeister formal nur der für ein Jahr gewählte Vorsitzende war, mutiert zum Kabinett.

Der Senatschef wählt die Senatoren künftig selbst aus. Die Bürgerschaft muß sie bestätigen. Auch kann der Erste Bürgermeister künftig einzelne Senatoren feuern. Und: Zum Sturz des Stadtchefs ist die absolute Mehrheit der Bürgerschaft – 61 Stimmen – erforderlich, die in einem konstruktiven Mißtrauensvotum einen neuen Ersten Bürgermeister wählen muß.

Mit diesen Neuerungen wird der Hamburger Regierungschef erheblich unabhängiger von Senatsintrigen, hinter denen in der Vergangenheit in der Regel die Bataillone der SPD-Bezirke steckten. Voscheraus Vorgänger Klaus von Dohnanyi kann ein Liedchen davon singen, wie ein Bürgermeister als Marionette an den Fäden des Senats gezogen wird, wobei diese Fäden pikanterweise der damalige Fraktionschef Henning Voscherau höchstpersönlich in den Händen hielt.

Ganz erhebliche Änderungen gibt es auch auf Bezirksebene. Zwar dürfen die Bezirksversammlungen künftig mehr Geld ausgeben, ansonsten aber ist es mit der eh schon bescheidenen Herrlichkeit bezirklicher Demokratie endgültig vorbei. Das Bezirksamt wird zur Verwaltungsfestung, die allein dem Senat verantwortlich ist. So wird der Bezirksamtsleiter künftig der Bezirksversammlung vom Senat zur Wahl vorgeschlagen. Bisher mußte der Senat die gewählten BezirkschefInnen bestätigen.

Und: Die Bezirksversammlung darf sich in die laufenden Geschäfte des Bezirksamtes nicht mehr einmischen, ja nicht einmal Fragen stellen. Lediglich in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung darf sie noch ihre Meinung kundtun. Noch weit schwerwiegender dürfte eine andere Änderung sein: Während früher der Senat oder, bei Einspruch der Bezirke, die Bürgerschaft über Bebauungspläne entschied, liegen diese jetzt allein in der Hand der vom Senat eingesetzten BezirksamtsleiterIn.

Während der Senat von Dezentralisierung schwärmt, sehen Kritiker eine Entdemokratisierung eines der wichtigsten Gestaltungselemente städtischer Politik. GAL-Verfassungsexperte Martin Schmidt: „Hamburg ist damit die einzige Stadt in Deutschland, in der kein demokratisches Gremium über die Bebauungsplanung entscheidet.“Filzgeschäften und geheimen Deals mit Investoren sind damit Tür und Tor geöffnet.

Allerdings, so mahnt Schmidt: „Der Bürgermeister wird noch lernen müssen, daß Richtlinienkompetenz nicht bedeutet, daß er in jedem Einzelfall auch allein entscheiden darf.“Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen