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SPD liegt einem Linken zu Füßen

Mit Ortwin Runde kommt die Aufbruchstimmung. Der Voscherau-Erbe will Hamburgs ABM-Mittel auf Jugendliche konzentrieren  ■ Von Silke Mertins

Henning Vosche-rau hielt seine Nase so hoch, als wolle er verhindern, daß Wasser abwärts fließt. Mit Applaus hatte der zurückgetretene Bürgermeister am Freitag abend auf dem SPD-Sonderparteitag in Wilhelmsburg sicherlich gerechnet. Doch der nicht enden wollende Beifall wurde ihm beim Ringen um die Fassung zu viel. Er stieg auf die Bühne, hob die Arme und gab wie ein Dirigent das Zeichen zum Verstummen. Denn die standing ovations, das spürte er wohl, waren nicht nur Ausdruck von dankbarem Respekt, sondern auch von Aufbruchstimmung und der Euphorie eines Neuanfangs.

Gespannt (rechte SPD) bis fiebrig (linke SPD) wartete man auf die Rede des Mannes, der die Partei nun aus der Krise führen soll: Noch-Finanzsenator Ortwin Runde. Und der kam an diesem Abend nicht nur ohne seine farblich gewagten Krawatte-Hemd-Kombinationen aus, sondern verzichtete auch auf einen rhetorischen Stil mit der Ausstrahlung einer Gutenachtgeschichte. Keinen Flügel zu verprellen, Voscherau nicht nachzutreten und gleichzeitig eigenes politisches Profil zu zeigen – ein schwieriger Balanceakt, der Runde in seiner oft von Beifall unterbrochenen Bewerbungsrede gelang.

Von seinem langjährigen Amtsvorgänger Voscherau distanzierte er sich mit einer völlig anderen Schwerpunktsetzung: soziale Gerechtigkeit, Bildung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Jeder müsse „eine Chance auf Integration“bekommen, Jugendlichen dürfe nicht „der Einstieg in die Erwachsenenwelt“verweigert werden. Auf Worte will Runde sich dabei nicht beschränken, sondern Hamburgs ABM-Mittel „auf Jugendliche konzentrieren“, sagte er zur taz. Mit der Sozialbehörde habe er sich bereits „unterhalten“.

An die Rechten gerichtet betonte Runde, die „Wirtschaftskraft“müsse gestärkt und „Strukturwandel aktiv befördert“werden. Dabei setzt er weniger auf traditionelle Industrie, als auf moderne und innovationsstarke Bereiche wie Medien. Und für die sei beispielsweise „das kulturelle Klima ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor“.

Diesen mit apokalyptischen Schlechtwetterprognosen zu zerreden – wie Voscherau es mit großem Einsatz tat – kam ihm deshalb nicht in den Sinn. Das Thema Innere Sicherheit streifte er nur am Rande. Mit den Schießereien vor seiner Behörde, auf dem Gänsemarkt, habe er nichts zu tun, witzelte Runde. Kriminalität habe die SPD mehr bewegt, „als uns lieb und zuträglich war“. Zwar ermahnte er die Genossen, „Antworten“zu finden. Doch sein Bekenntnis, den Dealern „auf die Finger zu klopfen“, unterscheidet sich so fundamental von Voscheraus „zu lau, zu lasch, zu langsam“, als habe man es mit Vertretern von zwei gänzlich verschiedenen Parteien zu tun.

Manchem SPD-Delegierten mag das zu wenig gewesen sein. Doch im Wahlverhalten spiegelte sich kein Unbehagen wider: Mit 264 Jaworten von 287 Stimmberechtigten lagen die Genossen dem ersten linken Bürgermeister-Kandidaten in Hamburgs Nachkriegsgeschichte zu Füßen. Runde war angesichts der 92prozentigen Rückendeckung beinahe mulmig zumute. Alles was über 50 Prozent plus eine Stimme hinausgehe, habe er früher mal gesagt, „verdirbt mein politisches Profil“. Dennoch: „Danke für das Vertrauen.“

Was der Vertrauensvorschuß kostet, hatte der Ex-Fraktionschef und Wortführer der Rechten, Günter Elste, vorher bereits deutlich gemacht. Ein Regierungschef müsse „die gesamte Hamburger SPD in ihrer vollen Breite“vertreten, sagte er während der kurzen Aussprache, und erinnerte Runde an dessen kritische Haltung zur neu eingeführten Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters. „Du warst ausgesprochen skeptisch – jetzt hast du sie.“Soll heißen: Nutze sie bloß nicht aus.

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