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Sich wieder des Körpers zu erinnern

■ Beim Frankfurter „Lauf gegen die Zeit“ errennen die Teilnehmer nicht nur Geld für die Aidshilfe, sondern auch ein neues Körpergefühl

Frankfurt/Main (taz) – „Letztes Jahr“, erzählt Walter, „hätte ich nicht geglaubt, daß ich selbst mal mitlaufen würde.“ Walter Rödl, HIV-positiv, hatte 1996 den ersten „Lauf gegen die Zeit“ mitorganisiert. Eine Frankfurter Initiative wollte nicht mehr länger mit ansehen, daß die Aidshilfe, die mit examinierten Mitarbeitern in ihrem „Regenbogen-Dienst“ häusliche Betreuung, psychologische Unterstützung und Sterbehilfe leistet, durch Kürzungen von Zuschüssen den Umfang ihrer qualifizierten Arbeit kaum noch aufrechterhalten konnte. Also hat man den ersten Frankfurter Citylauf über 5.000 Meter ins Leben gerufen. 1996 waren 900 LäuferInnen dabei, die sich entweder einen privaten Sponsor gesucht hatten oder einfach per Startgeld den Topf der Aidshilfe füllen halfen.

Diesmal war Walter mit 1.500 anderen unterwegs. „Als mir 1985 mein positives Testergebnis mitgeteilt wurde, war ich dreißig. Ich war sicher, das Jahr 1990 nicht mehr zu erleben und fing an, auf meinen Tod hin zu leben. Etwas anderes kam mir nicht in den Sinn. Das Virus in deinem Körper ist eine Sache, die andere ist dein Kopf. Der hat immer bestimmt, wie ich die Krankheit zu erleben habe.“

Nach ein paar Jahren fuhr er nicht mehr zum Wandern in die Berge, weil er zwangsläufig annahm, daß so etwas für HIV-Positive irgendwann flachfällt. „Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, an einem 5.000-Meter- Lauf teilzunehmen. Es wäre sowieso der erste in meinem Leben gewesen.“ Sterbehilfe für 5.000-Meter-Läufer? Der Regenbogen-Dienst der Aidshilfe hat mehr als je zu tun. Weiterhin sterben viele, werden viele aber auch über Jahre betreut. Allerdings waren nur die wenigsten der 1.500 TeilnehmerInnen des „Laufs gegen die Zeit“, die dieses Jahr über 150.000 Mark zusammenrannten, HIV-positiv. „Aber ich glaube heute“, so Walter, „daß es mehr sein könnten. Der Lauf mitten durch die City zeigt nicht nur den Frankfurtern, daß es in ihrer Stadt Aids gibt und Menschen, die auf die Arbeit des Regenbogen-Dienstes setzen müssen. Er kann auch Betroffene wie mich dazu bewegen, sich wieder ihres Körpers zu erinnern. Natürlich kann man nicht jeden auffordern, einfach loszurennen. Das hieße, die individuelle Situation zu ignorieren.“

Für Walter Rödl hatte es jahrelang keinen Sinn gemacht, an seinen Körper zu denken. Der war heimgesucht, nur der Empfänger von Medikamenten. Aber zuzutrauen war ihm nichts, schon gar keine Belastung. Der erste „Lauf gegen die Zeit“ im vergangenen Jahr gab den Anstoß. Der damals 41jährige schaute nach, was neben der viralen Infektion mit seinem Körper eigentlich sonst noch los war. „Mensch Alter, dich gibt's ja auch noch!“ beschreibt Walter seine Reaktion, nachdem er auf dem Frankfurter Hauptfriedhof seine ersten Runden gedreht hatte. Nicht um sich ein passendes Grab zu suchen, sondern um eine alte Freundschaft zu erneuern. „Da gab's plötzlich etwas, auf das ich mich bei meinem Körper wieder verlassen konnte. Ein vorher nie dagewesenes Gefühl.“

Am Samstag war Walter Rödl nach rund 28 Minuten im Ziel, mitten im Feld. Nicht mal die einkalkulierte Gehpause war nötig gewesen. Als Mitglied der Aidshilfe hat er damit selbst zum finanziellen Erfolg des Laufs beigetragen. „Man muß ja fast aufpassen, daß das bestimmte Leute nicht in den falschen Hals kriegen. Nachher heißt es noch: Für was brauchen die Geld? Die können sich ihre Betreuungszuschüsse ja selbst zusammenlaufen.“ Stefan Höhle

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