piwik no script img

Herthas Zitterpartie

■ Röbers Mannschaft empfängt Leverkusens Fußballer, die auf dem 4. Platz stehen

„Wir sind im Geschäft zurück“, stellte Jürgen Röber nüchtern fest, obwohl der Hertha-Trainer nach dem 3:1-Sieg am Mittwoch auf der Bielefelder „Alm“ allen Grund zum Abheben hätte. Er könnte ebenso hoch auf Wolke sieben schweben wie seine ruhiggestellten Kritiker, die ihn vor nunmehr drei Wochen virtuell bereits in die lange Schlange vor dem Arbeitsamt eingereiht hatten, weil der Berliner Bundesliga-Aufsteiger partout nicht aus den Startlöchern gekommen war.

Nun richten Röbers besänftigte Nörgler – euphorisiert durch den vierten Sieg „ihrer Mannschaft“ in Serie – die Teleskope schon wieder in die unendlichen Weiten der Galaxis. Irdische Rivalen, die der Röber-Elf das Wasser reichen könnten, werden knapp.

In dieser angeheiterten Atmosphäre kommt heute mit Bayer Leverkusen ein denkbar ungeeigneter Gegner ins Olympiastadion. Die Pillen-Kicker, zu Beginn der Runde ähnlich schwer wie Hertha in Fahrt gekommen, haben noch vor dem Gastgeber in die Erfolgsspur gefunden. Der 4. Platz und ein nach oben zeigender Trend der Rheinländer, die vor allem in fremden Stadien aufzutrumpfen pflegen, sprechen nicht unbedingt für einen gemütlichen Samstag-Spaziergang für die auf dem 12. Platz liegenden Herthaner.

Zumal die Partie – trotz der 600 Kilometer zwischen Spree und Rhein – Spurenelemente eines Derbys aufweist. Bayer-Coach Christoph Daum, Motivationskünstler und „Lautsprecher“ der Bundesliga, führte 1992 den VfB Stuttgart zur deutschen Meisterschaft. Wenig später stolperten Daum und auch VfB-Manager Dieter Hoeneß, der heute in gleicher Funktion bei Hertha agiert, über einen Fauxpas im Europacup, als die beiden Mathematik-Giganten einen Ausländer zuviel einsetzten und disqualifiziert wurden.

Röber empfindet gegenüber Daum, dem er 1994 in Stuttgart nachfolgte, zwar menschlichen Respekt. Aber Christophs Lehrmethoden lehnt Jürgen ab. „Daum ist ein Feuerwehrmann, der seine Mannschaft wie kein anderer zu motivieren versteht. Doch sein Fehler in Stuttgart war, daß seine Spieler damals das Gefühl hatten, der Trainer sei Meister geworden und nicht die Mannschaft.“ Bei Hertha ist die Mannschaft der Star.

Möglicherweise wäre dies bei den Herthanern auch der Fall, wenn man Nico Kovac und Carsten Ramelow noch in den eigenen Reihen hätte. Mittlerweile stehen der kroatische und der angehende deutsche Nationalspieler jedoch auf der Gehaltsliste von Bayer- Leverkusen. Kovac, der untreu gewordene Mädchenschwarm aus Zehlendorf, ging, weil er noch vor dem feststehenden Aufstieg Herthas endlich Bundesligaluft schnuppern wollte. Und der semmelblonde sensible Ramelow verzweifelte an den unerbittlichen Fans der Hauptstadt.

Nichts sähen die einheimischen Anhänger heute lieber, als wenn die beiden Abtrünnigen ihren Weggang schmerzlich bereuen müßten. Das wäre Balsam für die preußische Seele, die nicht verzeiht, wer ihr den Rücken kehrt. Lohnender Nebeneffekt wäre, daß Hertha, einen Heimsieg vorausgesetzt, erstmals unter die besten Zehn der Tabelle vorstoßen könnte. Jürgen Schulz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen