: Z wie Zwangsneurose
Schaubühne 97: Monster goes Büromensch im Big Eden – zur Geisterstunde zeigt Michael Simon das „Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ ■ Von Petra Kohse
Ein Schloß, ein Dunkel, ein Stöhnen, ein Rauch. Und angemessen mühsam schleppt sich ein Monster heran. Entsprechend albern auch: im roten Bademantel überm Hängebauch, mit langen Krallen und verwuchertem Gesicht. Elektronisch verstärktes Schnaufen geht von ihm aus sowie ein sattes Quietschen bei jedem Schritt. Hui-Buh aus dem Gallerttopf. Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne...? Nein, das geht nicht. Daß dieses Monster der Sohn sein soll, der einst auszog, „das Fürchten zu lernen“, glaubt keiner. Wer so aussieht weiß, wo das Grauen wohnt, so einfach sind die Brüder Grimm nicht zu haben.
Der ältere Herr im blauen Anzug dagegen, der erst im Publikum saß und jetzt ohne Interesse auf die Bühne kommt, erscheint einem da schon bedenklicher. Sein ist der Klangteppich, sein ist die Aktentasche, und sein ist die Kälte. Ausdruckslos starrt er auf das Monster und schubst es aus dem Lehnstuhl, nachher legt er ihm die Kopfschraube an, und ein Disco-Moderator wird auch verletzt. Über all dem schwummert es soft & easy: Stefan Pucher hat Musik gemixt.
Mitten in die Nacht verlegt Michael Simon, Teilnehmer der documenta X und nach Andrea Breths Rückzug die einzig aktive künstlerische Kraft der Berliner Schaubühne, seine erste Produktion dieser Spielzeit: Um 23 Uhr erst betritt man den „legendären Saal C“, wie der Schauspieler Sven Walser im Goldkettchen-Outfit des Berliner Playboys und Disco-Königs Rolf Eden jubelt, bevor er das Alphabet des Abends ausruft, das über „T wie Theaterwissenschaft“ direkt zu „Z wie Zwangsneurose“ führt.
Das „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ steht auf dem Programm, in einer Fassung des Dramaturgen Thomas Reichert und Michael Simon selbst. Schauerromantik wird beiseite geschoben, und Funktionalität und Kleinbürgerglam treffen aufeinander, Monster goes Büromensch im Big Eden.
Was im Prinzip eine gute Idee ist für diese Zeit und diesen Ort. Die Frage von Gruseln oder Nichtgruseln wird in den ästhetisch-moralischen Bereich verlagert und im real existierenden Kiez des Theaters, am Kurfürstendamm, verankert. Der, der auszieht, das Fürchten zu lernen, gerät in die Disco Horror Eden Show, zwischen Glitzerjungs und rassistische Sprüche, zwischen gerüschte Halstücher und schwulen Sex.
Robert Hunger-Bühler tapst in seinem blauen Anzug gleichmütig durch das Geschehen, guckt da zu, haut dort drauf und fummelt mit Kakerlaken an Menschen rum: ein Zombie, der durch eine Art Opferidentifikation dann interessanterweise tatsächlich ein bißchen zu leben beginnt. Als Christian Schwaan, den der Disco-Moderator Walser als schwules Fräulein Elvira eingeführt und schikaniert hat, irgendwann zu strippen beginnt, ahmt Hunger-Bühler trottelig, aber mit erstmals erwachendem Interesse jede Bewegung nach. Doch alles Schlängeln, Wälzen und Züngeln mit nacktem Hintern ändert letztlich nichts: Der, der auszog, das Fürchten zu lernen, rennt am Ende lange im Kreis, dann fällt er hin. Zu fühlen gibt es nichts, sagt Simon, allenfalls etwas zu lachen, weswegen die Eden- Boys dann noch einmal mit Krönchen und Filzpantoffeln auftreten, Technoherzen auf der Leinwand platzen und eine männliche Prinzessin umständlich von hinten besprungen wird.
Streckenweise ist dies ein angenehm unordentlicher Versuch über die Gleichgültigkeit, lose arrangiert zwischen einem Tisch und einem Lehnstuhl, einer Kamera und einer Leinwand sowie elektroakustisch überformt. Immer wieder aber wird dieser Versuch zugunsten eitler Windungen verschwurbelt, gerät die schöne Offenheit zu einer Leerstelle, in der das Ganze dann leider versackt.
„Ach, wenn's mir nur gruselte“, schreibt Hunger-Bühler anfangs auf einen Zettel und leuchtet mit der Kamera jeden Buchstaben schwankend ab, um den Satz danach auch noch („A-a- ch-ch...“) langwierig lautlich zu skandieren. Oder er dirigiert minutenlang die als Spukgespenster verkleideten Eden-Boys einen ungenauen Schritt nach rechts, einen noch ungenaueren nach links.
Gerade weil es immer wieder auch lustige Momente gibt, läßt sich derlei nur mit zunehmendem Gleichmut aushalten: Ein Sog der Anverwandlung entsteht zur Geisterstunde im Saal C. Schauer- und Disco-Monster, Krallen und Flitter, Darstellung und Pausen zerfließen vor dem zombiehaft teilnahmslosen Auge, man möchte zum Einzelnen nicht nein, zum Ganzen aber auch nicht ja sagen und kann Sven Walsers eingangs gestellte Moderatorenfrage beim besten Willen nicht beantworten: „Schaubühne 97: Soll Peter Stein zurückkommen, oder ist Rolf Eden der richtige Mann?“
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