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■ 1984 kam Nguyen Thi Hong als vietnamesische Vertragsarbeiterin in die DDR – ausschließlich „zur Arbeit und beruflichen Weiterbildung“. Heiraten oder Kinder mit Deutschen waren strikt vertragswidrig Von Marina MaiGebremste Völkervereinigung

Die DDR heuerte aus armen Bruderstaaten Vertragsarbeiter an. Gefragt war nur ihre Arbeitskraft, Sozialkontakte waren verpönt. Seit kurzem dürfen die früheren Gastarbeiter unbefristet hierbleiben. Für die Vietnamesin Thi Hong bedeutet dies das Ende einer bürokratischen Odyssee.

Nguyen Thi Hong freute sich auf Deutschland. Es war eine „Ehre“, in den Bruderstaat DDR gehen zu dürfen. Nach zwei Monaten Deutschunterricht wurde sie mit anderen vietnamesischen KollegInnen in der Betriebsküche des Rostocker Stadthafens eingesetzt. Als ungelernte Küchenkraft. Hong hatte bereits in ihrem Heimatland den Beruf einer Köchin erlernt. Die Aussicht auf berufliche Weiterbildung, wie vor ihrer Abreise versprochen, wurde enttäuscht.

Offiziell kamen die VertragsarbeiterInnen zur Ausbildung in die DDR. Das entsprach anfänglich sogar der Realität. Mitte der achtziger Jahre galt dieses Wort kaum noch – ausländische ArbeiterInnen mußten personelle Engpässe in der Produktion auffangen. Meist waren das unqualifizierte Arbeiten.

Vietnam war im Gegenzug froh, ein paar Arbeitslose weniger und dazu noch mehr Geld in der Staatskasse zu haben. Die Betriebe übernahmen den zweifelhaften Service, zwölf Prozent des Bruttoeinkommens sowie die Rentenversicherungsbeiträge an die Berliner Außenstelle des vietnamesischen Arbeitsministeriums zu überweisen. Selbst das Kindergeld für zu Hause gelassene Kinder floß vertragsgemäß in die Staatskasse.

Nach mehr als einem Jahr Dienst im Rostocker Stadthafen wurde Hongs vietnamesisches Facharbeiterzeugnis anerkannt. Von nun an war sie Köchin im Vierschichtsystem. Ihr Gehalt erhöhte sich auf 520 Mark.

Im Unterschied zu westdeutschen Gastarbeitern wurden die 90.000 DDR-Vertragsarbeiter – 15.000 leben noch heute hier – nicht mit individuellen Verträgen, sondern kollektiv via Staatsvertrag angeworben. Ihr Aufenthalt wurde von der DDR wie von den Entsendeländern Vietnam, Angola, Mosambik, Kuba, Polen, Ungarn, Algerien, China, Nord-Korea und Bulgarien als befristet angesehen. Ihre Integration war nicht erwünscht. Die Anwerbung von Familien wurde bewußt vermieden. So ließen viele Vertragsarbeiter Kinder und (Ehe-)Partner zurück.

In der DDR wohnten sie dann in ghettoähnlichen Wohnheimen mit Einlaßkontrollen. Kontakt zu Ausländern war bei DDR-Bürgern nicht gerne gesehen, die Möglichkeiten der Begegnung waren eingeschränkt. Unverheiratete Arbeiterinnen aus Vietnam und Mosambik durften in der DDR keine Kinder zur Welt bringen. Besonders schikaniert wurden VietnamesInnen, die deutsche PartnerInnen heirateten und auf Dauer in der DDR leben wollten. Wenn man die Prüfung der Behörden bestand, mußte man sich zudem für 8.000 Mark aus Vietnam freikaufen.

Hong hatte einen Vertrag für vier Jahre. Ein unverhofftes Angebot von der vietnamesischen Gruppenleitung, einen Verlängerungsantrag zu stellen, kam ihr recht. Für 1.500 Mark „Bearbeitungsgebühr“ an vietnamesische Funktionäre erhielt sie einen Vertrag für weitere zwei Jahre.

Dann wurde sie schwanger. Wenn die vietnamesische Gruppenleitung davon erfuhr, stünde sie vor der Entscheidung, vorzeitig nach Vietnam zurückzukehren oder abzutreiben. Das Leben in Vietnam war Hong unvorstellbar geworden. Ihre Familie hätte ihr – einer Tochter, die aus der Reihe tanzt – nicht helfen können, wollen.

Der Bauch ließ sich nach fünf Monaten nicht mehr verbergen. Die Kolleginnen in der Küche bemerkten Hongs Schwangerschaft. Sie hielten dicht und halfen ihr. Nach Schichtschluß durfte sich Hong in der Wohnung einer deutschen Kollegin versteckt halten, um von den vietnamesischen Funktionären nicht gesehen zu werden. Thi Hong ging nicht mehr aus dem Haus. Als die Schwangerschaft schließlich bekannt wurde, stimmte der Arzt dem Flug nach Vietnam nicht mehr zu.

Im November 1988 brachte Hong eine Tochter zur Welt, ausreisen sollte sie trotzdem. Es waren medizinische Erwägungen, weshalb sie die DDR nicht verlassen mußte. Im Februar 1989 schließlich hatten die Kirchen der DDR-Regierung das Zugeständnis abgerungen, daß VertragsarbeiterInnen Kinder bekommen und in der DDR weiterleben durften. Dazu mußte allerdings der Betrieb einer Weiterbeschäftigung der Mutter zustimmen. Der Rostocker Stadthafen hatte zugestimmt.

Im August 1990 wurde Hong arbeitslos. Sie und ihr Kind wurden aus dem Wohnheim gewiesen. Anders als viele ihrer Landsleute bekam die Mutter – der Vater blieb immer geheim – kein Arbeitslosengeld. Der Grund: Ihr zweijähriger Verlängerungsvertrag war bereits abgelaufen, einen Aufenthaltstitel bekam sie nicht zugestanden.

Hong suchte dort Hilfe, wo sie sie schon einmal bekommen hatte: Dieselbe Familie, die sie während der Schwangerschaft versteckt hatte, nahm sie und ihre Tochter wieder auf. Mit Hilfe der Rostocker Ausländerbehörde erhielt sie schließlich 129 Mark Arbeitslosengeld pro Woche und eine Aufenthaltsbewilligung, später nur noch eine monatliche Duldung. Arbeit suchte sie nun vergeblich. Kein Arbeitgeber ließ sich auf die bürokratische Regelung ein, monatliche Arbeitsverträge auszustellen.

1993 trat für ehemalige VertragsarbeiterInnen eine Bleiberechtsregelung in Kraft. Hong erhielt eine Aufenthaltsbefugnis. Eine achtjährige Aufenthaltsbefugnis ist Voraussetzung für ein unbefristetes Bleiberecht. Der Haken: Bislang zählten für die achtjährige Wartezeit erst die Zeiten seit 1993.

Im Juli hatten sich Bundestag und Bundesrat geeinigt, bei ehemaligen VertragsarbeiterInnen die Aufenthaltszeiten in der DDR und die Zeiten bis 1993 anzurechnen. Seit 1. November ist das neue Gesetz in Kraft. Hong, ihre neunjährige Tochter und viele ihrer Landsleute haben jetzt Anspruch auf staatliche Sozialleistungen. Erstmals seit 13 Jahren hat die Vietnamesin eine Lebensperspektive in Deutschland. In der vietnamesisch-deutschen Begegnungsstätte in Lichtenhagen, in den Räumen, die im August 1992 in Brand gesteckt worden waren, berät Hong heute ihre Landsleute in ausländerrechtlichen Fragen.

Literatur: Andreas Müggenburg – „Die ausländischen Vertragsarbeiter in der ehemaligen DDR. Darstellung und Dokumentation“, Mitteilungen der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, Bonn 1996. Kostenlos zu beziehen über: Büro der Bundesausländerbeauftragten, Postfach 140280, 53107 Bonn; Arbeitskreis gegen Fremdenfeindlichkeit (Hrsg.) – „Ehemalige DDR-Vertragsarbeitnehmer“. Zur sozialen und ausländerrechtlichen Situation, Berlin 1996.

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