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Miles macht's möglich

■ Der Produzent Bill Laswell hat die revolutionären 70er-Jahre-Sessions von Miles Davis als Ambient-Symphonie remixt

Ein Phantom setzt sich durch: Keine Interpretation schwarzer Popkultur scheint mehr ohne Science-fiction, Fantasy und Alien-Geschichten auszukommen. Und nun also auch Miles Davis: „Panthalassa“ heißt eine LP, auf der der New Yorker Produzent Bill Laswell diverse Davis-Sessions aus den frühen siebziger Jahren neu gemixt und „rekonstruiert“ hat. Der Titel soll an jene Sage anknüpfen, wonach ein gleichnamiger Urozean den versunkenen Kontinent Pangäa umschloß. David Toop erzählt von dieser Legende in seinem Buch „Ocean of Sound“, und fährt, weil Miles Davis tatsächlich 1975 eine Platte namens „Pangeae“ aufgenommen hat, damit fort, eins zum anderen zu addieren: „Für ihn war dies also Musik, die von verlorenen Landmassen und Utopien einer mythischen Zukunft angeregt war, und, wie Kevin Whitehead meint, von der Kontinentaldrift.“

Was hier nach einer späten Versöhnung zwischen Jazz und Rock, Ekstase und Esoterik klingt, wird von Laswell durchaus wohlmeinend in einen Sound übersetzt, der alles miteinander mischt und darin natürlich gut in die Gegenwart paßt. Wer will, kann aus den zerhackten Bassläufen und Trommelwirbeln HipHop oder Drum 'n' Bass heraushören; wer mehr auf das Surren der Trompete und die breiten Orgelakkorde achtet, bekommt eine frühe Form von Ambient geliefert; die Weltmusik- Fraktion staunt über Tabla- oder Sitar-Einsprengsel, und selbst wer sich für das unentwegte Gitarrenfeedback interessiert, kann in den Rockismen à la Davis noch Noise- Bands wie Sonic Youth wiedererkennen. Miles macht's möglich – und soll damit 1998 offenbar als Integrationsmodell herhalten.

Irgendwie wirkt das ganzheitliche Miles-Davis-Ding allerdings sehr konstruiert, als wolle man im Rückwärtsgang die Diskussionen der letzten zehn Jahre an einem Übervater festmachen. Plötzlich sind die launischen und sprunghaften Improvisationen, in die Davis um 1970 herum auf Platten abtauchen konnte, der Schlüssel zum aufgeklärten Weltbürgertum – jeder Trompetenstoß ein Beleg für Crossover- und Cultural Studies. Seltsam nur, daß der 1991 verstorbene Musiker seine Rolle völlig anders sah: Indem Miles Davis mit elektrischer Instrumentierung und einer komplett rockorientierten Backingband experimentierte, wollte er sich als schwarzer Popstar im weißen Mainstream behaupten. Was Jimi Hendrix, James Brown und Sly & the Family Stone mit den Hippies verband, das sollte sich auch in der Musik von Davis spiegeln: Anarchie, Sexiness und Rassenbewußtsein.

Ende der sechziger Jahre war Davis ohnehin an eine Grenze gelangt. Seit den „Birth of the Cool“- Sessions 1950 galt seine Musik als die gepflegte, existentialistische Seite des Jazz. Für Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ hatte er einen noirmäßigen, Bar- und Nachtclub-kompatiblen Soundtrack komponiert. Sein „Concierto de Aranjuez“ auf „Sketches of Spain“ erinnerte ebenso wie das acht Jahre später erschienene Album „Filles de Kilimanjaro“ an die Vertonung von Ernest Hemingways Romanen. Davis fügte sich gut in den Zeitgeist, der europäische Tradition mit US-amerikanischer Noblesse vereinnahmen konnte. Er war auf dem Weg, ein feinsinnig kultivierter Bohemien zu werden, und damit entsetzlich langweilig.

Andererseits blieb Miles Davis bei allem Zartgefühl seines Trompetenspiels ein Schwarzer; Ralph Ellisons „invisible man“, der noch in den achtziger Jahren mit seinem Ferrari von der Polizei angehalten wurde, weil man erst mal die Papiere überprüfen mußte. Als Davis 1969 den Cool Jazz aufgab, war Martin Luther King tot und die Bürgerrechtsbewegung zersplittert. Während sich auf der einen Seite Black Panther organisierten, gab James Brown Endloskonzerte, um die schwarze Bevölkerung von Riots fernzuhalten – und Sly Stone trat als Shooting-Star mit „Dance to the Music“ in Woodstock auf.

Miles Davis soll als Reaktion auf Stones Erfolg gesagt haben, daß er auch ein paar von den Abertausenden an weißen „chicks“ abhaben wollte. Bei Jimi Hendrix hat ihm zumindest die Gage imponiert: „Hey, Jimi Hendrix gets thirty grands a gig!“ zitiert Amiri Baraka einen ungläubigen Davis in den liner notes zu „Panthalassa“, der sich danach von seinem Agenten nicht länger als Jazzmusiker vermitteln lassen wollte, weil er im Rockbetrieb mehr Geld verdienen konnte. Der Albumtitel nach seiner Abwendung vom etablierten Jazz gibt die Marschrichtung an: „Bitches Brew“ war ein Spiel mit den Insignien der Blaxploitation, aber nach den Regeln ihres musikalischen Erfinders.

Die Botschaft wurde verstanden: Sogar die Zeit zitierte zuletzt den empörten Jazz-Puristen Stanley Crouch, der Davis vorwarf, er schicke seine Musik auf den Strich. Tatsächlich hören sich Platten wie „Bitches Brew“, „Big Fun“ oder „Get up with it“ extrem verführerisch an. Je aufgeladener sich die Rhythmus-Abteilung an Funk- Pattern abarbeitet, um so lasziver bläst Davis ins Horn. Auf dem Cover zu „Miles at the Fillmore“ sieht man ihn mit offenem Hemd auf weißen Plüschlaken liegen, ein Zipfel der Decke richtet sich wie ein Phallus zwischen seinen Beinen auf. Der Rest der Band erscheint dagegen auf Konzert-Fotos halb verhuscht oder in seine Instrumente vertieft. Schüchtern sitzt Chick Corea über sein E-Piano gebeugt, behutsam zupft Dave Holland am Bass. Weiße akademische Musiker leben ein Stück weit ihre Selbstverwirklichung in Sachen Jazz aus, der Meister schmunzelt manchmal – und spielt Melodien, die sich nur in wenigen atonalen Kreischern von seinen früheren Produktionen unterscheiden. Denn seine musikalischen Wurzeln werden gerade in der Fusion- Phase offenbar, das 1974er Album „Get up with it“ ist dem im gleichen Jahr verstorbenen Duke Ellington gewidmet, und „A Tribute to Jack Johnson“ (1970) war als Hommage an den Box-Champion der zehner Jahre gerichtet.

Über all diese Verweise erfährt man im Remix von Bill Laswell nichts. Immerhin hat sich der ehemalige „Material“-Bassist nicht so weit vorgewagt wie bei seiner Bearbeitung von Bob-Marley-Songs, wo die gesamten Aufnahmen in einem endlosen Echo- und Effekt- Gefummel ziemlich verloren klangen. Statt dessen präsentiert Laswell in seiner Überarbeitung Miles Davis als entspannten Trompeter, der sich anhört, wie die Band meditativ über seinen Ideen improvisiert, um das Gejamme ab und zu mit einigen gestochen scharfen Phrasen zu lenken. Bei längeren Funk-Einlagen reißt er auf der Orgel ein neues Thema an, wenn die Gitarren zu sehr rückkoppeln, übernimmt Davis das Feedback und überträgt den Ton auf das eigene Trompetenspiel. Alles scheint mit dem Chef abgesprochen zu sein und wird von Laswell nur ein bißchen transparenter – eben digitaler – nachsynchronisiert. So kann er etwa die 40 Minuten von „In a silent way“ auf eine Viertelstunde runterkürzen, die jetzt ein wenig wie symphonische Dichtung mit klar umrissenem Anfang, Thema, Variationen und Ende klingt.

Im Original bestand die Aufnahme allerdings aus einem zusammengewürfelten Haufen aus Ideen, die der damalige Produzent Teo Macero minutiös an der Tonbandmaschine mit dem Klebeband in endgültige Form brachte. Eigentlich war Macero als Sound- Engineer für Davis ähnlich wichtig wie George Martin für die Beatles. Während Martin aber einen Großteil der Arrangements selbst komponierte, bestand Maceros Aufgabe darin, genau darauf zu achten, wie sich die Sessions mit Miles Davis entwickelten: Was immer er mit seiner Band aufnahm, Macero mußte im Anschluß Hand an die Bänder legen. Für das Intro zu „Sivad“ auf „Live-Evil“ wurden dann zwei Minuten aus dem ersten Set herausgeschnitten und mit einer späteren Aufnahme kombiniert. Der sukzessive und stets spontane Sound von Miles Davis war ein Ergebnis dieser Cut-up- Technik.

Im Gegenzug veröffentlichte Davis gerade in dieser Zeit ein halbes Dutzend Live-Alben – entweder mißtraute er den Studio- Tricks, oder er wollte deren willkürliche Ergebnisse mit dem Furor der Konzerte noch überbieten. Die Überraschung hielt sich dabei allerdings in Grenzen: Obwohl die Abende im Fillmore East von San Francisco zwar von „Wednesday Miles“ bis „Saturday Miles“ durchgetitelt sind, hört sich das Ganze nicht wie ein „work in progress“ an, sondern dokumentiert einfach nur vier ziemlich ähnliche Sets, die je nach Laune Fragmente aus „Bitches Brew“ oder „In a silent way“ hin- und herschieben. Dagegen wirken etwa die unterschiedlichen Versionen von Dizzie Gillespies „A Night in Tunesia“ immer wieder frisch, neu und fremdartig.

Bill Laswell hat diese komplexen Verstrickungen ausgeklammert, seine Hommage an Miles Davis begnügt sich mit dem Kult um Afro-, Jazz- und Pop-Appeal. Dazu gehört auch der oft zitierte Mythos, daß Davis nach den exzessiven Sessions Anfang der Siebziger bald fünf Jahre keine Schallplatte mehr aufgenommen hat. Doch schon ein Jahr nach dem „Agartha“-Konzert im japanischen Osaka kam auf Drängen der Plattenfirma „Water Babies“ heraus – eine retrospektive akustische Platte mit Kompositionen von Wayne Shorter, der zur gleichen Zeit bei Weather Report Tenorsaxophon spielte. Der Mainstream hatte Miles Davis wieder. Harald Fricke

„Panthalassa: The Music of Miles Davis 1969–1974“ (Sony)

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