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„Von 100 Anfragen findet man vielleicht einen“

■ Die lückenhaften Akten machen genaue Nachweise für Zwangsarbeiter unmöglich

Alles hatte seine Ordnung. Das Arbeitsamt Bremen, Abteilung Landwirtschaftliche Vermittlung, hat gewissenhaft das Hauptgesundheitsamt, das Landherrenamt und den Polizeipräsidenten über die ZwangsarbeiterInnen informiert, die an Bauern verteilt wurden. Zum Beispiel kam am 4.11.1942 Gregor Parasntschka, männlich, ledig, geboren 1919, aus Lemman im Kreis Charkow (Ukraine) mit 42 Leidensgefährten nach Bremen. Er wurde an Herm. Gloistein in Blumenthal zugewiesen.

Solche Transportlisten finden sich heute aber nur noch selten, wenn es darum geht, den Aufenthalt von ZwangsarbeiterInnen in Bremen heute zweifelsfrei nachzuvollziehen. Einfacher ist es für Franzosen, Belgier, Italiener oder Dänen. Die wurden im offiziellen Melderegister der Stadt als neue Einwohner geführt. Wurden sie verlegt, galten sie als verzogen. Nützlich für die Historiker sind auch Akten des Bausenators, der viele Zwangsarbeiter beim Trümmerräumen, im Gartenbauamt oder auf den Friedhöfen eingesetzt hat.

Die großen Unternehmen führten Personallisten über ihre Arbeiter. Diese haben die Firmen aber zum Teil weggeworfen, zum Teil haben die Betriebe auch aus Angst vor möglichen Ansprüchen gegen sie nicht reagiert, als Historiker und Archivare sich mit der Bitte um Aufklärung an sie gewandt haben. Als 1986 das Thema Zwangsarbeit in Bremen schon einmal hochgekocht war, erinnert sich der Bremer Staatsarchiv-Leiter Hartmut Müller, hat auch die Handelskammer die Zusammenarbeit verweigert.

Insgesamt ist aber aus den erhaltenen Dokumenten ein Nachweis über Zeiten und Orte der Zwangsarbeit im Detail in den meisten Fällen unmöglich. „Von 100 Anfragen findet man vielleicht mal einen“, sagt Hartmut Müller vom Staatsarchiv. Nach seiner Einschätzung ist eine pauschale Entschädigung die einzige Möglichkeit, den Überlebenden doch noch zu helfen. „Wir können denen doch nicht die Beweislast zuschieben“, sagt Müller.

Die Frage der Nachweise könnte künftig noch wichtiger werden. Seitdem die Front gegen eine individuelle Entschädigung für Zwangsarbeiter in Deutschland bröckelt, geht es auch um Geld und die Frage, wer bezahlen soll. Bisher beschränkt sich die Diskussion auf die Industrie. Archivar Müller weist auf die Verantwortung der Landwirtschaft, des Handwerks und der Kommunen hin.

Beim Deutschen Städtetag heißt es, die Städte seien zwar zur Aufarbeitung der lokalen Geschichte verpflichtet. Der Beigeordnete Bernd Meier verweist auf Besuchsprogramme für ZwangsarbeiterInnen, wie sie etwa die Stadt Köln anbiete. Dennoch seien in Fragen der Entschädigung die Städte „nicht der Ansprechpartner“, sondern der Bund, sagt Meier. Schließlich richteten sich auch die Klagen in Bremen und Bonn, bei denen ehemalige ZwangsarbeiterInnen den entgangenen Lohn fordern, nicht gegen die Städte oder die Firmen, sondern gegen die Bundesregierung. „Wir gehen davon aus, daß es im Dritten Reich keine eigenständige Kommunalwirtschaft gegeben hat“, beschreibt Meier die Argumente der Städte. Deshalb müsse der Bund den Beitrag der öffentlichen Hand bei der Entschädigung übernehmen. jof

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