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Vorhang auf zum „Historischen Quartett“

■ Die Reich-Ranickis der Geschichte üben die Kunst des Verrisses

Berlin (taz) – Alles war eine Nummer schäbiger. Statt auf den noblen Ledersesseln des ZDF-Studios nahmen die Rezensenten auf den ausgefransten Bürostühlen einer Berliner Buchhandlung Platz. Statt des polternden Altmeisters Marcel Reich-Ranicki moderierte der sanft-ironische Junghistoriker Michael Jeismann die Debatte: zwei Charaktere, die nichts gemein haben, außer daß sie auf der Gehaltsliste des FAZ-Feuilletons standen respektive stehen.

Auch der drahtige Hans Ulrich Wehler, der beim morgendlichen Jogging den langen Atem für sein Mammutprojekt einer „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ schöpft, konnte den pittoresk-ruinösen „Magazin“-Autor Hellmuth Karasek kaum ersetzen. Ingrid Gilcher-Holthey, die wie Wehler in Bielefeld Geschichte lehrt, schien nicht gewillt, sich in die Rolle der Anstandsdame Sigrid Löffler drängen zu lassen. Doch begaben sich die Herren ohnehin nicht in jene Höhen eines selbstverliebten Machismo, aus denen Löffler ihre Kollegen in die Niederungen seriöser Literaturbetrachtung zurückzuholen pflegt. Manfred Hettling schließlich, obwohl eigentlich fester Bestandteil des Quartetts, schlüpfte perfekt in die Rolle des ein wenig unbedarften Gastes, der – Schwabe, der er ist – noch an das Wahre und Gute in der Literaturkritik glaubt.

Daß auch Hettling als Geschichtsprofessor in Bielefeld wirkt – das ergibt sich fast schon von selbst. Denn was sich im Literaturbetrieb auf Frankfurt, Berlin und Hamburg verteilt, konzentriert sich in der Historikerzunft auf die „ostwestfälische Steppe“, wie Wehler zu sagten pflegt. Und um Historisches sollte es am Donnerstag abend gehen. Schleichers Buchhandlung in Berlin-Dahlem, schon lange bekannt für ambitioniertes Lesungsprogramm, hatte zum ersten „Historischen Quartett“ geladen.

Die Runde wolle „dem literarischen Beispiel folgen, ohne es ganz zu kopieren“, dämpfte Jeismann die Erwartungen. „Den Unterhaltungswert hoffen wir zu erfüllen“, fügte er aber hinzu, denn „Bescheidenheit nützt hier gar nichts“. Nichts ist unterhaltsamer als ein Verriß, und so kamen die drei besprochenen Bände schlecht weg. Eine vierte Neuerscheinung hatten die Rezensenten kurzfristig aus dem Programm gestrichen – das Buch war ihnen „zu dick“.

Folgerichtig führte die Anklage gegen den Hitler-Biographen Ian Kershaw ins Feld, daß schon die erste Hälfte seines Werks 800 Seiten füllt. Obwohl in allen Zeitungen hoch gelobt, sei das Werk „nicht richtig gelungen“, befand Wehler. Noch weniger nachsichtig zeigte sich der Historiker gegenüber seinem Marburger Kollegen Martin Scharfe und dessen schmalem Bändchen „Wegzeiger“, einer „Kulturgeschichte des Verirrens und Wegfindens“. Scharfe galt ihm schlicht als „Irrwege-Apostel“.

Für den Showdown hatte die Runde Pierre Bourdieus „Der Einzige und sein Eigenheim“ ausersehen, doch gerade hier war sie sich einig wie nie. Bourdieu schätzten zwar alle sehr, doch fanden sie seine These absurd, die staatliche Eigenheimförderug habe die französichen Mittelschichten dem Neoliberalismus ausgeliefert. „Kaufen oder nicht kaufen“: Die Antwort war ein einhelliges „Nein“.

Der Abspann mit Beethovens drittem Rasumowsky-Quartett aber fehlte, dem historischen folgte kein musikalisches Quartett. Immerhin sah der Moderator mit der obligaten Betroffenheit „den Vorhang zu und die Archive offen“. Ralph Bollmann

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