Cream of Crime
: Alles so schön fiebrig hier

■ Suchen Sie den Mann, der nicht der Mörder ist: Michael Dibdins intelligenter Roman über eine vergebliche Wahrheitssuche

Hoffen wir mal, daß Michael Dibdins Ausflüge in die verschwommene Welt des „Thrillers“ („Insel der Unsterblichkeit“) vorbei sind. Denn Aurelio-Zen-Romane kann er besser, wie „Schwarzer Trüffel“ (der Trüffel, hmm?) mal wieder zeigt. Dabei weiß man gar nicht so genau, was „Aurelio-Zen-Romane“ eigentlich sind. Einigen wir uns auf eine sehr grobe Definition: Sie sind Kriminalromane, weil Dottore Zen Polizeidirektor bei Criminalpol in Rom ist und deswegen von Berufs wegen Verbrechen bearbeiten muß. Nicht etwa Verbrechen aufklären, damit wir uns da nicht mißverstehen.

In diesem Buch hat Zen einen klaren Auftrag aus der italienischen Nomenklatura der Reichen und Mächtigen: Fahren Sie ins Piemont, dort ist einer unserer Lieblingswinzer wegen Mordes verhaftet worden. Kriegen Sie den Mann frei, egal wie. Wenn der Barbaresco, den wir so lieben, produziert ist, können Sie ihn ja wieder hopsnehmen. Hauptsache, der Jahrgang wird nicht ruiniert. Sonst, lieber Zen, landen Sie auf einem ungemütlichen Posten in Sizilien.

Diese Aussicht findet Zen nicht erfreulich. Also spuckt er auf jede Rechtsstaatlichkeit, lügt, betrügt, prügelt und beugt die Wahrheit, bis er einen geständigen Mörder hat. Zens Soma muß dafür zahlen: Mit Somnambulismus, Fieberwahn, Grippe und Haschischdröhnung. Und als Extrastrafe (oder Belohnung?) legt er sich noch eine erwachsene Tochter zu. Am Schluß sind alle zufrieden, und der wirkliche Mörder west unter unerfreulichen Umständen vor sich hin.

Alles ist ein wenig fiebrig und durchgedreht in diesem Roman, der schon herbstliche Nebel und Kühle vorauswirft: Die lemurenhaften Gestalten, die in abgelegenen Bergtälern nur für Trüffel und Wein leben, sich darum sorgen, wie sie in der kollektiven Wahrnehmung dastehen, und meinen, mit Fremden alles machen zu können. Fiebrig auch die Idee, eine angebliche Tochter aus den Nebeln der Vergangenheit auftauchen zu lassen, die dann ihren doch nicht wirklichen Vater mittels Stimmzerhacker telefonisch terrorisiert. Gespenstisch das Porträt eines alten, wunderlichen Partisanen, der die Faschisten überlebt und daraus mörderische Schlüsse über die Welt gezogen hat. Kafkaesk die heimtückische Jovialität der örtlichen Gesetzeshüter und beklemmend die schöne Natur, aus der Zen dringend wieder entfliehen möchte.

Sperrig und verstörend ist auch Dibdins Prosa, die blitzschnell auch die unmöglichsten Perspektivsprünge meistert. Denn letztendlich ist der ganze Roman ein Duell zwischen Zens kriminologischen Deduktionen und dem allwissenden Erzähler. Zwar versucht Zen, der ganz und gar kein netter Zeitgenosse ist, mit seinen schrägen Methoden die Wahrheit aus den verschlossenen Menschen herauszuerpressen, notfalls mit Gewalt. Aber der Erzähler, der die Fiktion kontrolliert, weiß es besser. Und damit auch der Leser. Somit verbünden sich Leser und Erzähler gegen die Hauptfigur, die dennoch ein „positiver“ Held bleibt. So ein Verfahren hat seit Jim Thompsons „The Killer Inside Me“ kaum ein Autor mehr gewagt, dort allerdings ist der Polizist gar ein Mörder. Dibdins Kunst ist es, mittels ausgefuchster Dialektik die Figur Aurelio Zen interessant zu halten. Und sei's, weil wir wissen möchten, wie weit dieser melancholische Zyniker noch gehen wird. Ein Garant für die Wahrheit ist er nicht mehr, ein Garant für offene Unmoralität noch nicht. Aber wer sagt, daß alles binär sortiert sein muß? Wenn je das Adjektiv „dekonstruktivistisch“ einen Sinn gehabt hat, dann für diesen intelligent vertrackten Roman.

Thomas Wörtche

Michael Dibdin: „Schwarzer Trüffel“. Deutsch von Martin Hielscher. Goldmann 1999, 347 Seiten, 39,90 DM