Zwei Gutachter, zwei Meinungen

■ Eid-Prozess in Kiel: Widersprüchliche Auswertungen der Tonband-Mitschnitte aus der Untersuchungshaft

Mit dem Auswerten der Tonband-Mitschnitte aus der Untersuchungshaft hat die Kieler Jugendstrafkammer gestern versucht, mehr über die Hintergründe der Brandkatastrophe von Lübeck zu erfahren. Die Übersetzungsversuche der beiden Gutachter zeigten nach Ansicht von Beobachtern jedoch, dass auch angeblich belastende Aussagen völlig unterschiedlich verstanden wurden. Auf Grund der miserablen Qualität der von der Justiz heimlich angefertigten Tonbandaufnahme konnten sich beide Gutachter auch nicht auf eine gleichlautende Übersetzung der Worte von Eid verständigen.

Die Anklage wirft dem 23-jährigen Libanesen gemeinschaftliche schwere Brandstiftung und Körperverletzung vor. Er soll in der Nacht zum 18. Januar 1996 Feuer im Asylbewerberheim an der Lübecker Hafenstraße gelegt und dadurch den Tod von zehn Menschen verursacht haben. Die Tonbandprotokolle aus dem Gefängnis waren im ersten Prozess in Lübeck nicht als Beweismittel zugelassen worden. Der Bundesgerichtshof hatte deshalb das Verfahren nach Kiel zur Neuverhandlung gegeben.

Mit scharfen Angriffen der Verteidigung gegen den aus Syrien stammenden Sprachsachverständigen Aziz Yachoua hatte der dritte Verhandlungstag begonnen. Der Dolmetscher für arabische Sprachen sollte gemeinsam mit dem Arabisch-Lektor Mohammad Wannous, der auf Antrag des Gerichts bestellt worden war, die heimlich aufgezeichneten Gespräche übersetzen, die Eid in der Lübecker Untersuchungshaft mit seinem Vater und seinen Brüdern geführt hatte.

Während des ersten Prozesses gegen Eid vor zwei Jahren in Lübeck hatte Yachoua erklärt, manche Passagen auf den Tonbändern könnten möglicherweise als Schuldeingeständnis gewertet werden. Eid soll unter anderem gesagt haben: „Ich weiß, was ich in dem Gebäude gemacht habe. Gott ist verzeihend und gnädig.“ Die Verteidigerinnen versuchten, Yachoua für nicht kompetent zu erklären und hielten ihm eine zu große Nähe zum Bundeskriminalamt vor, in dessen Auftrag der Sachverständige häufig gearbeitet hat.

Beide Gutachter waren sich gestern einig, dass in einem Gespräch Eids mit seinem jüngeren Bruder Bilal der Satz „Niemand kann es Dir, mit Gottes Hilfe, nachweisen“ gefallen sei. Offenbar wurde auch über die Sorge Eids gesprochen, lebenslang hinter Gitter zu müssen. Der für das Verfahren bedeutsame Satz „Ich habe alle zum Schweigen gebracht“, wurde nur von Yachoua gehört, sein Kollege interpretierte den Satz mit „Es ist niemals nachgewiesen worden“. Auf weiteres Befragen sagte er, Eid könne genau so gut gesagt haben „Ich habe alle zufrieden gestellt“ oder „Ich habe alle beruhigt“.

Für das Anhören der Tonbänder, die Gespräche von rund 15 Stunden Länge enthalten, hat das Gericht drei Verhandlungstage eingeplant. Der Prozess wird heute Vormittag fortgesetzt. Rüdiger Ewald