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Gründgens steigt aus der braunen Soße

Peter Palitzsch hat in Düsseldorf eine Collage über den anrüchigen Theaterstar inszeniert, dessen 100. Geburtstag im Dezember ansteht. Der Regisseur und der Dramaturg des Schauspielhauses, Frank Raddatz, gehen indes freundlich mit Gründgens um  ■   Von Morten Kansteiner

Das Düsseldorfer Schauspielhaus bittet zum Quellenstudium. Das Publikum darf lernen. Ein kleiner Ausschnitt aus dem Pensum: Auf den Vortrag eines anklagenden Briefes von Klaus Mann an Emmy Sonnemann, Schauspielerin und Göring-Gattin, folgt eine brechtsche Polemik gegen den NS-angepassten Schauspieler Heinrich George. Anschließend ein Bericht über eine Attacke des Völkischen Beobachters auf Gustaf Gründgens.

Gründgens, den Hermann Göring 1934 zum Intendanten der preußischen Staatstheater machte, wäre im Dezember 100 geworden. Da muss natürlich aufgearbeitet werden – und wo, wenn nicht in Düsseldorf, der Heimatstadt des anrüchigen Theaterstars, in der er nach dem Krieg Intendant war. Frank Raddatz hat zu diesem Zweck eine Collage aus historischen Dokumenten, literarischen Schnipseln und Episoden der Gründgens-Biografie zusammengestellt. Inszeniert hat sie Brechts Schüler Peter Palitzsch, der selbst weiß, wie es sich als Theaterlegende lebt.

Vorsichtshalber ist der Gründgens-Abend, der am Freitag Premiere hatte, „Alles Theater“ überschrieben. Denn wer die großen Zeiten des Dokumentar-Theaters nicht erlebt hat, könnte sich sonst mitunter im Hörsaal wähnen. Immer mal wieder steht jemand etwas verloren auf der Bühne, gibt einen historischen Text wieder oder erklärt die Zusammenhänge.

Aber natürlich wissen Raddatz und Palitzsch, dass prodesse nur die halbe Miete ist. Delectare soll auch sein. Und die Biografie Gustaf Gründgens' bietet nicht nur nützliche Lehren, sondern auch amüsante Geschichten. Zum Beispiel über die Dreharbeiten für den Propagandastreifen „Ohm Krüger“: Weil ihm die Angelegenheit gar nicht gefiel, nutzte Gründgens zu diesem Anlass seine Privilegien als preußischer Staatsrat: Am Set erschien er mit zwei Majoren und kommunizierte mit dem Regisseur Hans Steinhoff nur über diese Adjutanten. Raddatz und Palitzsch haben sich die Geschichte nicht entgehen lassen und zu hübschem Slapstick verarbeitet.

Andere Auflockerungsversuche sind allerdings danebengegangen. Goebbels (Thomas Wittmann) etwa muss als Tunte mit Fluselperücke über die Bühne tapsen. Der fette Göring (Peter Kern) wichst an den Vorhang, während Gründgens (Volker Spengler) sich mit einem Spielzeugtheater amüsiert. Das soll wohl verwegen sein, aber das Resultat ist enttäuschend. Allzu betulich demonstrieren die Herren ihre Obsessionen. Souverän wird Palitzsch' Inszenierung erst, wenn die Collage sich weit in den zweiten Weltkrieg vorgearbeitet hat und die Schwermut Einzug hält. Einen Moment lang fürchtet man zwar den Vortrag eines weiteren Dokuments, wenn Daniela Kiefer allein an die verdunkelte Rampe tritt. Aber stattdessen singt und schreit sie so verzweifelt einen Song, dass alle Belehrungen vergessen sind.

Jetzt hat auch Volker Spengler Gelegenheit, aus seinem Gründgens etwas zu machen. Mit dem jungen Karrieristen der ersten Szenen kann er nicht so viel anfangen. Er markiert den Theaterstar etwas schlicht mit einem schwulen Fisteln. Der kaputte, belastete Gründgens passt ihm deutlich besser. Am Ende hockt der massige Schauspieler in einem Loch, das – wer hätte das gedacht – mit braunem Schlamm gefüllt ist, und murmelt „Sein oder Nichtsein“, als kämen ihm die Worte gerade in den vom Morphium vernebelten Sinn.

Dass Frank Raddatz hier Hamlet bemüht und auch Sartres Orest, ist nicht nur große Abschlussgeste, sondern gründlich motiviert. Beide Rollen hat Gründgens gespielt, und beide lassen sich als Kommentar seiner Position lesen. Vielleicht hat Gründgens sich wie Hamlet die eigene Untätigkeit vorgeworfen. Vielleicht wollte er, den 1963 eine Überdosis Schlafmittel das Leben kostete, auch nur noch sterben, schlafen. Über die Anfeindungen, denen er nach dem Krieg ausgesetzt war, dachte Gründgens womöglich wie Orest: „Eure Schuld und eure Reue, eure nächtlichen Ängste, das Verbrechen des Ägist, all das ist mir, ich nehme es auf mich.“

Raddatz und Palitzsch gehen also freundlich mit Gustaf Gründgens um. Sie lassen ihn als alten, kranken Mann sterben, den sein Gewissen plagt. Er hat sich zwar mit dem schicken Spielzeugtheater bestechen lassen, aber er ist nicht der rücksichtslose Opportunist aus Klaus Manns „Mephisto“-Roman. Im Gegenteil: Die Produktion legt Wert darauf, dass Gründgens immer wieder bedrohte Kollegen schützen wollte. Obwohl der Held plakativ in brauner Soße plantscht, braucht man sich nicht zu ekeln, wenn man nach der Vorstellung herausgeht, auf den Gustaf-Gründgens-Platz. Aber daran haben sich die Düsseldorfer vermutlich längst gewöhnt.

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