: Subkultureller Grundversorgungsfunk
Das „Freie Sender Kombinat“ begeht seine Vollfrequenz mit Konzert und Party in der Roten Flora ■ Von Katja Strube
Freies Radio auf einer Vollfrequenz, jeden Tag und rund um die Uhr – darauf arbeiteten die RadiomacherInnen vom Freien Sender Kombinat (FSK) seit sieben Jahren hin. Dieses Wochenende ist es soweit: Ab sofort gibt es das Programm des nichtkommerziellen Anbieters auch sonntags. Die letzten zwei Jahre teilte sich FSK die Ätherpräsenz mit dem Hamburger Lokalradio, einem Jazz- und Kultursender, der von nun an sonntags auf dem Offenen Kanal zu hören ist. Doch das war nicht das erste Frequenzchaos, in das FSK stürzte – seit der Gründung des Projektes 1993 legte die Hamburgische Anstalt für Neue Medien (HAM) dem kritischen Radiosender einige Steine in den Weg.
Jahrelang mussten die FSK-lerInnen mit einzelnen Sendestunden auf dem Offenen Kanal vorlieb nehmen, bevor der Sender 1996 auf der Frequenz 89,1 MHz lizensiert wurde, allerdings im Frequenz-splitting mit dem Deutschlandradio Berlin. Dabei zog FSK entschieden den Kürzeren – pro Tag durfte es gerade mal 3,5 Stunden in den Abendstunden senden. 1998 schrieb die HAM mit der 93 MHz die ersehnte eigene Frequenz aus, doch bis dato sendete FSK dort lediglich 6 Tage in der Woche. So richtig frei war das Kombinat also bisher nicht – und was sich daran durch die Vollfrequenz ändert, ist nicht viel: Die zeitliche ätherische Begrenzung fällt weg.
Es bleiben (neben der Tatsache, dass FSK mit gerade mal 40 Watt senden darf) Begrenzungen finanzieller und inhaltlicher Art: Weder besteht freies Radio losgelöst von den Verwertungszusammenhängen, auch wenn es sich selbst nicht über sie finanziert, noch stellt es tatsächlich Mythen, Identitäten und andere Selbstverständlichkeiten dieser Gesellschaft konsequent in Frage. Ersteres ist momentan nicht zu ändern, letzteres auch ein hausgemachtes Problem.
Freies Radio will die bestehenden Verhältnisse hinterfragen und zu ihrer Abschaffung beitragen. Als Mindestmaßstab dürfen im FSK keine sexistischen, rassistischen oder antisemitischen Äußerungen fallen, im Idealfall sollen die Sendungen kritisch, emanzipatorisch und selbstreflektierend sein, kurz: FSK stellt Inhalte vor, die man gemeinhin als „links“ bezeichnet. Doch darüber, wie das im Einzelfall auszuformulieren ist, bestehen im FSK kontroverse Ansichten, die sich im aktuellen „FSK-Antisemitismusstreit“ manifestieren.
Macht man einen Unterschied zwischen „schlechten“ und „guten“ Nationalismen und übt bedingungslos „Solidarität mit den Palästinensern“? Hält man antisemitische Äußerungen für ein Kavaliersdelikt, das Linken nur so aus Versehen passiert, oder versteht man sie als ein konstitutives Element dieser Gesellschaft, das es im freien Radio auf keinen Fall zu akzeptieren gilt? Und ist FSK ein Radio „der Linken“, das folglich auch alle Postionen, die von sich behaupten links zu sein, kritiklos wiedergeben muss?
Der gegenwärtige Streit brach aufgrund einer Sendung über den aktuellen israelisch-palästinensischen Konflikt aus. Die Sendungsmacher führten das Vorgehen des israelischen Militärs gegen die PalästinenserInnen linear auf Entschädigungszahlungen aus Deutschland zurück, stellten suggestive Zusammenhänge zwischen diesen Zahlungen und dem NS-Regime her, und rechneten auf: Die Palästinenser hätten „alles erlebt, was die Juden auch erlebt haben“. Die implizite Folgerung: Beim Holocaust waren die Juden Opfer, doch gegenwärtig stellten sie jetzt die wirklichen Nazis dar. FSK sprach gegen die beiden Verantwortlichen für diesen Beitrag ein Sendeverbot aus, gegen das sie seitdem lautstark öffentlich protestieren und das sie auch mehrfach übertraten.
Diese Auseinandersetzung um Antisemitismus im Freien Radio ist schon die zweite ihrer Art: Bereits vor einem Jahr setzte FSK eine Sendung ab, die in einem Beitrag über den Tod von Ignatz Bubis antisemitische Stereotype aneinander reihte: Bubis wurde als „jüdischer Spekulant“ bezeichnet, für den, als dem „kapitalistischen Vorstand der jüdischen Gemeinde“, das Judesein noch lange keinen „Persilschein“ darstellen dürfe. Daraufhin organisierte FSK eine Veranstaltungsreihe zum Thema Antisemitismus in der Linken, wovon es sich eine größere Sensibilität für dieses Thema im Sender versprach.
Diese Hoffnung hat sich, wie der aktuelle Krach zeigt, nicht erfüllt. Letztendlich kommt es auch auf die Bereitschaft an, sich mit Kritik auseinander zu setzen, und die erschöpft sich auf Seiten der Macher der inkriminierten Sendung in Empörung darüber, ihnen als „Linken“ so etwas „Rechtes“ wie Antisemitismus zu „unterstellen“.
Ob sich die konträren Positionen innerhalb des FSK auf Dauer vereinbaren lassen, ist gegenwärtig mehr denn je in Frage gestellt. Schön wäre es, wenn sich die momentane Situation im FSK mit den Worten des französischen Philosophen Henri Lefêbvre aus dem Pariser Mai 68 charakterisieren ließe: „Wenn die Leute nicht mehr ihre Alltäglichkeit leben können, dann beginnt die Revolution. Nur dann. Solange sie das Alltägliche leben können, rekonstituieren sich die alten Verhältnisse. Die Revolution wird also nicht nur auf der ökonomischen, politischen oder ideologischen Ebene definiert, sondern viel konkreter durch das Ende des Alltäglichen“. Seit Beginn des Antisemitismusstreits ist im FSK zwar kein Alltag mehr vorhanden – ob das jedoch etwas mit Revolution zu tun hat, darf bezweifelt werden.
Konzert (mit Les Frères Checkolade, Tomte, Knabenkraut und Sport) und Party, Sonnabend (!), 21 Uhr; Informationsveranstaltung „Wieviel Antisemitismus braucht ein Freies Radio?“: Sonntag, 19 Uhr, Rote Flora; aktueller Web-reader zum „FSK-Antisemitismusstreit“ unter www.fsk-hh.org
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