: Haftverschonung für Papierlose
PDS und Grüne fordern nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Haftdauer in Berliner Abschiebegefängnissen zu überprüfen. Viele Ausländer sitzen dort schon länger als sechs Monate. Innenverwaltung: Konsequenzen noch unklar
von JULIA NAUMANN
Nach Ansicht von PDS und Bündnisgrünen hat der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Aufenthaltsdauer von Ausländern in der Abschiebehaft (taz von gestern; Az.: 2 BvR 347/00) weitreichende Konsequenzen für Berlin. Die Innenverwaltung sei jetzt angehalten, alle Haftverlängerungen genauestens zu prüfen, sagte die migrationspolitische Sprecherin der PDS, Karin Hopfmann. Ihr Kollege von den Grünen, Hartwig Berger, forderte die Ausländerbehörde auf, Ausländer nicht länger als einen Monat in dem Gewahrsam zu lassen.
In dem Beschluss wurde einer Klage eines Kurden stattgegeben, die dafür sorgte, dass er aus dem Abschiebegewahrsam entlassen wurde. Das Gericht befand, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebiete, von der Abschiebehaft abzusehen, weil seine Abschiebung nicht durchführbar sei. Die Haft sei grundsätzlich zu beenden, wenn die Abschiebung „aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat“, innerhalb von drei Monaten nicht vollziehbar sei.
In Berlin gab es immer wieder Fälle, in denen Ausländer länger als ein halbes Jahr in Abschiebehaft saßen. Die Innenverwaltung hatte stets argumentiert, dass die Häftlinge an der langen Haftdauer selbst schuld seien, weil sie ein unkooperatives Verhalten bei der Feststellung ihrer Identität an den Tag legten, indem sie ihre wahre Identität verschleierten oder ihren Pass vernichteten. Nur mit einem gültigen Pass kann ein Ausländer ausgewiesen werden.
Um wie viele Langzeithäftlinge es sich handelt, ist unklar. Die Innenverwaltung führt darüber keine Statistik. Eine Sprecherin sagte lediglich, dass es sich im Durchschnitt um 16 Tage handele. Karin Hopfmann sind jedoch eine „ganze Anzahl von Fällen“ von Insassen bekannt, die länger als sechs Monate einsitzen.
Jüngstes Beispiel ist der Fall eines Ghanaers, der seit dem 14. Januar vergangenen Jahres ohne Papiere in Abschiebehaft sitzt. Ihm wird von der Ausländerbehörde vorgeworfen, dass er an seiner Passbeschaffung nicht mitwirke. Der Ghanaer sei jedoch mehrmals der Botschaft vorgeführt worden, so Hopfmann, und habe dort trotzdem keinen Pass bekommmen. Hier lägen ganz klar Abschiebungshindernisse vor, an denen der Ghanaer nicht schuld sei. Er müsse deshalb unverzüglich entlassen werden, forderte Hopfmann.
Die PDS-Politikerin plädierte auch dafür, dass die Praxis des Amtsgerichts Schöneberg genaustens überprüft werden müsse. Dieses verlängert nämlich auf Antrag der Ausländerbehörde die Haftzeit. „Das Gericht ist total überlastet und arbeitet häufig sehr schlampig“, hat Hopfmann beobachtet. So würden oft Namen falsch übersetzt, was auch zu einer Verzögerung der Passbeschaffung führen kann.
Hartwig Berger von den Grünen forderte als Konsequenz aus dem Urteil, dass ein Aufenthalt ohne legale Papiere kein Grund für Abschiebehaft sein dürfe, da dies unverhältnismäßig sei. Jeder „Illegale“ solle die Möglichkeit haben, sich polizeilich anzumelden. Nur wer dann erkennbar untertauche, dürfe in Abschiebehaft genommen werden. Mit diesem Verfahren würde die Anzahl der Abschiebehäftlinge wesentlich reduziert werden, so Berger.
Derzeit sitzen 200 Menschen in dem Abschiebeknast Grünau. Das Abschiebegefängnis in der Tiergartener Kruppstraße wurde zum Ende letzten Jahres geschlossen. Die Unterbringung der Häftlinge kostet jährlich rund 40 Millionen Mark.
Die Innenverwaltung konnte sich gestern zu dem Urteil noch nicht äußern. „Wir können noch nicht absehen, welche Auswirkungen das auf Berlin haben wird“, sagte ein Sprecher.
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