Nicht totzukriegen: Dichter Horst Wessel

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Infotafel zur NS-Geschichte aufgestellt. Förderverein Karl-Marx-Allee fürchtet, dass sie als Ehrenmal für den SA-Mann missverstanden werden kann. Ein Stück Erinnerungskultur

von PHILIPP GESSLER

Die Hauptstadt tut sich schwer mit ihrer Geschichte und der Erinnerung daran: Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) findet keine Zeit, zum symbolischen Baubeginn für das Holocaust-Mahnmal zu kommen, das Abgeordnetenhaus zerzaust sich um die aberkannte Ehrenbürgerwürde des sowjetischen Stadtkommandanten Nikolai Bersarin, man stritt sich um die Straßenumbenennung zu Ehren eines Revolutionärs von 1848 und um ein Blutbad 1919 – und nun gibt es wieder eine Auseinandersetzung um das Wie öffentlichen Gedenkens.

Es geht um den gerade untergegangenen Bezirk Friedrichshain und um Horst Wessel. Der gebürtige Bielefelder trat mit 19 in die NSDAP ein und wurde 1929 SA-Sturmführer. Als Student in Berlin terrorisierte er mit seinem braunen Schlägertrupp ganz Friedrichshain. Am 14. Januar 1930 wurde er bei einem Kampf mit Mitgliedern des verbotenen Roten Frontkämpferbundes ins Kinn geschossen. Da seine Kameraden eine Erstbehandlung durch einen jüdischen Arzt ablehnten, erlag er einige Zeit später seinen Verletzungen. Wessel wurde zum Märtyrer der zur Macht kommenden Nazis – das Marschlied „Die Fahne hoch . . .“, dessen Text er gedichtet hatte, von der NS-Propanda zu einer zweiten Nationalhymne stilisiert: dem „Horst-Wessel-Lied“.

Und der Wessel-Terror geht weiter: Das Bezirksamt hat nämlich Mitte Dezember an der früheren Stalinallee, der heutigen Karl-Marx-Allee, eine Informationstafel aufgestellt hat, die auf Wessel Bezug nimmt. Die Tafel gehört zu einer Serie von 39 Plastikstelen, die über die Geschichte des Stadtteils belehren sollen. Die umstrittene Infotafel erinnert daran, dass der Bezirk von 1933 bis 1945 „Verwaltungsbezirk Horst Wessel“ genannt wurde.

Doch zum einen berichtet die Tafel irrigerweise, dass Wessel „im Rotlichtmilieu von einem Rivalen“ ermordert worden sei. Zum anderen wird durch die grafische Gestaltung der Tafel – von Ferne zwar nur und ungewollt – der Eindruck vermittelt, als sollte Wessel „ehrend gedacht werden“. Das meint zumindest Erich Kundel. Der Buchhändler ist der Vizevorsitzende des Fördervereins Karl-Marx-Allee, eines Zusammenschlusses von etwa 20 Gewerbetreibenden, Kommunalpolitikern und Architekten im Umkreis der alten Prachtstraße. Sie befürchten, dass die falsch informierende und grafisch zweifelhafte Tafel dazu führen könnte, „dass jetzt die Glatzköpfe kommen und Blümchen drunterlegen“. Deshalb haben Mitglieder des Vereins gestern die Tafel mit angeklebter Pappe verhüllt. Sie werfen dem Bezirk zudem vor, nicht auf ihre Vorschläge zum Text der Tafel eingegangen zu sein und eine frühere, richtige Information verfälscht zu haben.

Bärbel Grygier (PDS), seit 1. Januar Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, sagt nichts zu den Vorwürfen, gibt dem Verein aber inhaltlich Recht: Sie befürwortet die Verhüllung und kündigt an, dass der Text der Tafel überarbeitet werden soll. Und so besteht Hoffnung, dass Wessel nun endlich schweigt. Bis zum nächsten Erinnerungsstreit!