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Ein bisschen süchtig nach der Intensität

Christine Meinhof-Berger macht als freiberufliche Hebamme auch Hausgeburten. Die Abwechslung schätzt sie besonders an ihrem Beruf

von MANUELA THIEME

Ihr Reihenhaus in Hohenschönhausen ist kaum zu verfehlen. Auf dem Dach des Carports steht ein Storch, fast in Originalgröße. „Wir haben lange nach dem richtigen Standort gesucht und fanden den dann am lustigsten“, sagt Hebamme Christine Meinhof-Berger. Die 45-Jährige lacht gern. Den Storch bekam sie von einem jungen Paar geschenkt, das sie bei ihrer Geburt begleitet hat: „Es war nicht leicht, aber wir haben es zusammen geschafft.“ So ein Erlebnis verbindet.

Seit 1992 arbeitet Christine Meinhof-Berger als freiberufliche Hebamme. Sie holt nicht nur Kinder auf die Welt, sondern verdient ihr Geld auch mit Geburtsvorbereitung, Wochenbettbetreuung, Stillberatung und Rückbildungsgymnastik: „Alternative Geburten sind nach wie vor die Ausnahme, es gibt nicht viele Frauen, die sich für diese Variante entscheiden.“ Die meisten ihrer Anmeldungen kommen aus den Prenzlauer-Berg-Quartieren um die Danziger Straße.

Ein, zwei Geburten macht sie im Monat. Durchschnittlich. Mal sind es vier, mal gar keine. „Wenn eine Weile nichts passiert, werde ich ganz kribbelig.“ Nichts liebt sie an ihrem Beruf mehr als die Geburt selbst. „Ein bisschen bin ich wahrscheinlich süchtig nach dieser emotionalen Intensität. Erst das Warten, dann die Spannung und Ungewissheit, schließlich die extreme Anstrengung. Dann dieser Moment der Stille, wenn das Kind kommt, und die riesige Freude. Das ist immer wieder faszinierend.“

Genau diesen Zauber hat sie in ihrer langen Klinikzeit vermisst. 13 Jahre war sie im Krankenhaus am Friedrichshain. Sie hat dort auch ihre zwei Töchter geboren, was nichts daran änderte, dass sie den Kreißsaal zu groß und zu anonym fand: „Pro Schicht haben wir bis zu 12 Kindern mit ans Licht der Welt geholfen. Da kannte man die Frauen oft nur von unten.“

Die Wende kam und mit ihr die Neugier, ob es nicht auch anders geht. Zusammen mit sieben Kolleginnen aus dem Friedrichshain fuhr sie zum ersten deutschsprachigen Hebammenkongress nach Wien. Sie hörte von den alternativen Geburtsmöglichkeiten und kehrte mit der Gewissheit zurück: „Das ist das, was ich will.“ Sie absolvierte ein Praktikum im Wiener Geburtshaus. Mit dem „unerlässlichen Gepäck schulmedizinischer Erfahrungen“ tastete sie sich dann allmählich voran. Von der Zehlendorfer Gynäkologenpraxis mit ambulanten Geburten über eine Dahlemer Privatklinik ging es ins Geburtshaus Kreuzberg, danach ins Geburtshaus Hohenschönhausen. „Für Kreuzberg habe ich immer noch den Schlüssel. Ich kann dort mit Frauen hingehen, die ihr Kind mit mir, aber nicht nicht in ihrer eigenen Wohnung bekommen wollen.“ Zu Hohenschönhausen ist der Kontakt abgebrochen, sie hat ein anderes Verständnis als die Kolleginnen dort.

„Ich kann nicht bis zur Selbstaufgabe arbeiten. Die positive Ausstrahlung, die Kraft, die ich für diesen Beruf brauche, muss ja irgendwoher kommen.“ Dieses Irgendwoher sind bei Christine Meinhof-Berger die Familie, die Freunde, der Chor. Seit den 80er-Jahren singt die Pastorentochter von der Insel Rügen in der Berliner Domkantorei, dort hat sie auch ihren Mann kennen gelernt. Einmal pro Woche sind Proben, dazu kommen die Auftritte.

In ihrem Beruf muss vieles lange vorher geplant werden, trotzdem ändert sich oft noch einiges zwischendurch. Sie führt ein Leben auf Abruf – das Mobiltelefon ist ständiger Begleiter. Es gab Phasen, da hat der Beruf alles dominiert. Als freiberufliche Hebamme kann sie für sich manches besser regeln. Der 70. Geburtstag der Mutter im Mai ist zum Beispiel unwiderruflich gebucht. Eine Frau, die um den Termin herum eine Hausgeburt mit ihr machen will, weiß Bescheid. Sie kann sich immer noch überlegen, zu einer anderen Hebamme zu wechseln.

Vertrauen ist die wichtigste Grundlage ihrer Arbeit, sagt Christine Meinhof-Berger: „Wir müssen uns in den Monaten vorher so gut wie möglich kennen lernen. Wenn man keine Antenne füreinander hat, sollte man es lassen.“ Obwohl sie findet, dass die Natur die Geburt bestens ausgeklügelt hat, weist sie immer darauf hin, dass es um mehr geht als viele Kerzen, schöne Düfte und gute Stimmung: „Bei aller Atmosphäre, es bleibt eine körperliche und seelische Grenzerfahrung.“ Manchmal staunt sie selbst, wie die werdenden Mütter und Väter die Geburt inszenieren. Manche laden sich das Haus voller Bekannte, andere stimmen Gesänge an, eine Schwangere verschwand ein paar Stunden im Keller, um endlich Wehen zu bekommen.

Es ist auch diese Abwechslung, die sie an ihrem Beruf so mag. „Jede Frau muss den Weg finden, der zu ihr passt. Ich will ihr dabei helfen.“ Das kann, wie sie sagt, auch das Krankenhaus sein. An einem Glaubenskampf will sie sich jedenfalls nicht beteiligen. „Wer sich in der Nähe technischer Geräte sicherer fühlt, der kann auch in der Klinik eine schöne Geburt haben, die Kreißsäle dort haben inzwischen ja viele Anregungen der alternativen Geburtsmöglichkeiten übernommen.“

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