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Ist hier irgendjemand Arzt?

Berlinale-Vorspiel und symbolische Wiedergutmachung: Im Filmmuseum am Potsdamer Platz wurde eine Ausstellung über Fritz Lang eröffnet. Mit simulierten Schwächeanfällen, Scheinschwangerschaften und Schlöndorff-Anekdoten

Fritz Lang verkörpert wie Curt Bois den Typ des durch Nationalsozialismus und Emigration entwurzelten Künstlers

Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen, dass bald jedes Konzert und jedes Festival von potenten Sponsoren abhängt, denen als Gegenleistung exzessiv gehuldigt werden muss. So auch bei der soeben im Filmmuseum am Potsdamer Platz eröffneten Fritz-Lang-Ausstellung. „Studio Universal ist eine Tochter von Universal Studios“, führt die Pressesprecherin des Pay-TV-Kanals zur Vernissage aus – eine ins Kostüm gepresste Karrierefrau unbestimmbaren Alters mit dem etwas operettenhaften Namen Phaedra Jeta. Sie legt Eckpunkte der Firmenpolitik dar, erwähnt, dass durchaus auch deutsche Autorenfilme ihren Platz bei Studio Universal hätten. Da versagt plötzlich ihre Stimme, sie klammert sich ans Pult und fixiert einen Punkt im Raum. Und dann sinkt sie auch schon in die Arme des herbeieilenden Museumsleiters Hans Helmut Prinzler.

Tumultartige Verwirrung. „Ist jemand Arzt?“ Die Besucher mustern sich gegenseitig, sonst passiert nichts. Später bringt jemand eine Decke, und noch später kommt sogar die Feuerwehr. Aber so schlimm war es dann doch nicht: kein Anschlag, keine Vergiftung, vermutlich nicht einmal eine Schwangerschaft. Frau Jeta brauchte nicht mit der Feuerwehr zu fahren, sorgte mit ihrer Performance aber immerhin für eine angemessene Einstimmung auf Museumsrundgang und Weinkonsum. Weder Staatssekretär Dr. Hans-Martin Hinz mit einer tadellos verlesenen Rede aus anonymer Feder noch Volker Schlöndorff als weiterer Festredner konnten da mithalten.

Warum überhaupt Schlöndorff? Weil man diesen Menschen neuerdings überall vorfindet, sei es auf dem Sebnitzer Sofa bei der Familie des „kleinen Joseph“ oder zur Verleihung des Wolfgang-Neuss-Preises an Fritz Teufel? Nein: Schlöndorff hat Meister Lang tatsächlich gekannt, wie ein Objekt der Ausstellung beweist. Mit beredten Gesten, in kämpferischer Lederjacke und mit gefärbtem Haarkranz gibt er einige Anekdoten aus seiner Zeit mit Lang zum Besten. Einmal kommt auch er ins Stocken, schnappt nach Luft, scheint überwältigt von der Bedeutung der eigenen Erinnerungen.

Die erste Sonderausstellung in den noch nach Farbe riechenden und tagsüber von Baulärm erfüllten Räumen des Filmmuseums wird also Fritz Lang gewidmet. Eine programmatische Entscheidung, die keines runden Jubiläums bedarf. Museumsdirektor Prinzler ist ausgewiesener Lang-Experte – die von ihm im Todesjahr 1976 bei Hanser mitverfasste Monografie hat noch immer Gültigkeit. Im Fundus der Deutschen Kinemathek lagerten zudem unzählige Exponate zu Werk- und Lebensgeschichte, Fotografien, Dokumente, Briefe, Skizzen, die jetzt zum ersten Mal zu sehen sind und einen Einblick in Langs perfektionistische Arbeitsweise geben.

Fritz Lang verkörpert wie Curt Bois oder Peter Lorre den Typus des durch Nationalsozialismus und Emigration entwurzelten Künstlers, der auch nach 1945 nie wieder recht Fuß fassen konnte. Es stellt nichts Geringeres als eine Schande dar, dass sich eine Größe wie er in den Fünfziger- und Sechzigerjahren der Bundesrepublik mit Auftragsarbeiten wie „Das indische Grabmal“ (1959) oder „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ (1960) demütigen musste. Gut, ließe sich einwenden, Produzent Arthur Brauner hat ihm immerhin Arbeit gegeben. Aber angesichts solcher Pionierleistungen wie „Der müde Tod“ (den Buñuel als Initialzündung für die eigene Kinobesessenheit anführte), „Metropolis“ (der seine Spuren in „Blade Runner“ oder „Das fünfte Element“ sichtbar hinterlassen hat) oder „M“ (dessen „überlappende“ Tonmischung die Montage revolutionierte) erscheinen diese Abenteuerfilme eher traurig.

Der anstehende Fritz-Lang-Overkill der Berlinale ist da vielleicht auch eine Art symbolische Wiedergutmachung. Neben der umfangreichen Retrospektive gibt es eine von dem Filmhistoriker und ehemaligen Leiter des Münchner Filmmuseums, Enno Patalas, persönlich komplettierte Metropolis-Fassung mit neu komponierter Musik, parallel dazu erscheint auch noch eine voluminöse Publikation.

CLAUS LÖSER

„Fritz Lang. Leben und Werk“. Ausstellung im Filmmuseum am Potsdamer Platz, Potsdamer Str. 2, bis 8. 4.

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