piwik no script img

Die Leistungssportlerinnen

Michaela Fuchs hat in Sydney drei Medaillen gewonnen. Marianne Buggenhagen hat schon sechs Goldmedaillen an der Wand. Drei Monate nach den Erfolgen bei den Paralympics fallen die behinderten Sportlerinnen wieder durch die Maschen

von MARKUS VÖLKER

Manchmal hat Michaela Fuchs (30) das Gefühl, in ihrem Leben geht es eine Pedalumdrehung voran und zwei zurück. So wollte sie bei den Paralympics in Sydney Medaillen gewinnen und Weltrekorde brechen. Doch ihre Fahrräder waren weg. Bahn- und Straßentandem gingen auf dem Weg von Berlin nach Australien verloren. Ein Betreuer fand sie schließlich – kaputt. „Ein Schrotthaufen“, erinnert sich Fuchs, sei die Bahnmaschine gewesen: Lenker verbogen, Rahmen verzogen, Gabel verdreht. Mehr als ein Malheur, schließlich kostete die Maschine 15.000 Mark.

„Zuerst dachte ich, ein Jahr Vorbereitung war umsonst“, so Fuchs. Dann kam doch noch das „Highlight“. Die Radlerin gewann drei Medaillen, auf einem 28 Jahre alten Tandem, das nachgeschickt wurde.

Michaela Fuchs ist blind. Sie ist auf einen Partner angewiesen, der das Fahrrad lenkt. Sie sitzt hinten und tritt nach Leibeskräften. Sie leidet an Albinismus, hat keine Pigmente. Ihre Haut ist bleich, die Haare sind wasserstoffblond. Von der normalen Sehkraft sind ihr von Geburt an nur 2,5 Prozent geblieben. Fuchs startet in der Behindertenklasse B2 für stark sehbehinderte Sportler. „Ich sehe Farben und Schattierungen, aber keine Gesichter“, erklärt sie.

Jan Ratzke sieht für Fuchs. Als Nachwuchsfahrer hat er mal einen DDR-Meistertitel geholt. Der bullige Ratzke nimmt die zierliche Mitfahrerin aus dem Wind und gibt ihr Sicherheit. „Ich erfühle, was die Pedale sagen. Und ich spüre über das Rad, was mein Pilot als nächstes vorhat“, sagt sie. Wenn Sprinter wie Jens Fiedler „Pkw fahren“, dann fahre sie eben „Omnibus“. Mit 60 km/h rast das Duo über die Bahnen.

Nach den Erfolgen ist die Erinnerung an die Paralympics positiv gefärbt. „Es waren meine Olympischen Spiele“, sagt Fuchs, „Das sind die echten, ohne Kommerz, der olympische Gedanke ist bei uns größer.“ Doch heute fallen die Behindertensportler wieder „durch die Maschen“. Fuchs trainiert meist in einem Fitnessraum in Rudow. Dort ist das Sportgerät am Boden festgeschraubt und sie kann auch solo treten. Zweimal geht sie in der Woche mit Ratzke auf die Straße. In ihrer Heimat im Schwarzwald traut sie sich auch mal allein mit dem Mountainbike in den Wald. Oder in die Loipe. Auf den Langlauf möchte sich die angehende Heilpädagogin in Zukunft wieder mehr konzentrieren. Auf Skiern hatte sie bei ihren ersten Paralympics Silber gewonnen, 1994 in Lillehammer.

Auch Marianne Buggenhagen ist „voll im Stress“: Bücher schreiben, trainieren, arbeiten. Sie hat zu tun. Und die Form muss sie halten. Schließlich ist die 45-Jährige „schon ein paar Tage über 20“, wie sie sagt. Im Juni bei der Europameisterschaft will die Kugelstoßerin, Speer- und Diskuswerferin wie schon so oft ganz oben aufs Siegerpodest. Sechs olympische Goldmedaillen hängen bei ihr daheim in Spandau. Sie ist die erfolgreichste Behindertensportlerin Deutschlands.

Seit 25 Jahren sitzt Buggenhagen im Rollstuhl. Als Jugendliche zog sie vom Oderhaff nach Berlin, um eine erfolgreiche Volleyballerin zu werden. In drei Jahren wuchs das Mädchen 30 Zentimeter. Das rasante Wachstum brachte Probleme. Bandscheibenvorfälle häuften sich. Dann entzündete sich die Wirbelsäule. Ärzte sprachen jedoch von einer „psychogenen Gangstörung“ und wiesen sie kurzzeitig in eine psychiatrische Anstalt ein.

„Schwarze, dunkle Jahre voller Selbstzweifel“ beginnen. Sie schreibt: „Ohne die übliche Zweckbestimmung meiner Beine fehlen die unentbehrlichen Merkmale des Menschseins.“ Sie kämpft gegen Lethargie und Trübsinn, beginnt ihr Schicksal anzuerkennen und behilft sich mit der Erkenntnis: „Ich selbst merke nicht, dass ich behindert bin, nur durch das Verhalten anderer werde ich immer wieder drauf hingewiesen.“

Ihre Erinnerung an Sydney ist frisch. Sie sieht noch immer „freundliche Gesichter“, denkt an die „große Hilfsbereitschaft“. Auch die Ankunft in Deutschland ist ihr in guter Erinnerung. Die griesgrämigen Gesichter der Landsleute seien ihr schwer aufs Gemüt geschlagen.

Doch mit den Selbstzweifeln hat es längst ein Ende, seit sie Sport treibt. Sie entdeckte die Leidenschaft, „Grenzen auszuloten“. Auch in ihrem Alter könne sie Grenzen immer neu ziehen, „ausweiten“. Anfangs probierte sie viele Sportarten aus. 130 DDR-Meistertitel sammelte sie, sogar im Tischtennis. Heute gilt sie als leuchtendes Vorbild für Nachwuchssportler, heimst Preise ein, macht Zaudernden Mut und plädiert dafür, Behindertensport als das zu sehen, was er ist: Leistungssport. „Das wird meist vergessen“, sagt Buggenhagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen