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Standortvorteil Mitbestimmung

Für das deutsche Modell der Mitbestimmung gibt es vergleichbare und bessere Standards in anderen Ländern

BERLIN taz ■ Der Schlagabtausch ist in vollem Gange. In ihrer Kritik an der geplanten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) beschwören die Arbeitgeber nicht nur das Wohl und Wehe ihres jeweiligen Unternehmens, sondern gleich die Gefahr für den „Standort Deutschland“. Schon jetzt, so die Argumentation, sei das deutsche Modell der Mitbestimmung „einmalig in der Welt“. Jede weitere Reform würde den Abstand zu den Regelungen in anderen Ländern noch vergrößern.

In der Praxis stimmt das nur zum Teil. Schon vor Jahren wiesen Experten des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in einer Studie darauf hin, dass die „sehr unterschiedlichen nationalen Mitbestimmungsstrukturen und -traditionen kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen“ seien.

„Die Möglichkeiten der Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen sind in den Ländern sehr unterschiedlich“, bestätigt auch Winfried Heidemann, Mitbestimmungsexperte der Hans-Böckler-Stiftung. „In Einzelfragen gibt es mal hier, mal dort bessere, weiter gehende, schlechtere oder geringer ausgeprägte Beteiligungsregelungen.“ Ein beurteilender Vergleich sei deswegen kaum seriös möglich.

Weltweit wirklich einmalig ist nur die Besetzung des Aufsichtsrates in Deutschland, in dem bei kleineren Kapitalgesellschaften seit Erlass das BetrVG von 1952 die Arbeitnehmer ein Drittel der Posten innehaben müssen. Bei den Großen gilt nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 sogar die paritätische Verteilung der Mandate. „Spektakuläre Fälle, in denen die Arbeitnehmerbank Investitionen verhindert hätte, sind allerdings nicht bekannt geworden“, heißt es in der Studie des Max-Planck-Instituts. Auch nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes beeinflusst diese Regelung die Arbeit in den Betrieben nur wenig.

Ansonsten fällt das deutsche Betriebsverfassungsgesetz vor allem deshalb aus dem Rahmen, weil es die Rechte und Pflichten der Betriebsräte nahezu abschließend regelt. In den meisten anderen Ländern verteilt sich die Definition von Rechten und Pflichten über verschiedene Gesetzeswerke, Tarifverträge und Betriebsabkommen. Die Gewerkschaften spielen dabei eine größere Rolle als in Deutschland. So kann es vorkommen, dass in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften vorhanden sind. Der Arbeitgeber muss dann mit jeder einzeln verhandeln.

In der Praxis sieht es so aus, dass fast jedes europäische Land in bestimmten Bereichen der Mitbestimmung die Nase voll hat. Das bestätigt neben der IG Metall auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft. Dort spricht man zwar von einem „deutschen Standort-Handikap“, kann aber auch für etliche europäische Länder „Schmankerln“ aufzählen.

So kann der Betriebsrat in Frankreich einen eigenen Wirtschaftsprüfer einsetzen, der den gleichen Zugriff auf Informationen über den Betrieb hat wie der Abschlussprüfer der Geschäftsleitung. Im Streitfall kann der Betriebsrat auch die Gerichte einschalten und den Abschlussprüfer absetzen lassen.

In Portugal kontrolliert er sogar die Budgets und Wirtschaftspläne der Geschäftsführung.

In den Niederlanden muss der Betriebsrat in wirtschaftlichen und finanziellen Fragen gehört werden. Wird ein Betrieb des Missmanagements verdächtigt, können die Gewerkschaften einen Experten der Industrie- und Handelskammer einschalten. In Österreich muss sich die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat über die Arbeitsbedingungen einigen. In Griechenland sitzen die Gewerkschaften mit am Tisch, wenn das Management seine Unternehmensstrategie festlegt.

In Schweden gibt es keine Mindestbeschäftigtenzahl, um einen Betriebsrat zu gründen, die Initiative übernehmen die Gewerkschaften. Sowohl dort als auch in Dänemark gibt es tarifvertraglich festgelegte Freistellungsregelungen für gewerkschaftliche Interessenvertreter, die nicht selten zu weit besseren Freistellungszahlen führen als bei uns.

In nahezu allen Ländern ist mittlerweile ein Kündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter festgeschrieben. Auch gibt es beinahe überall das Recht auf bezahlte Freistellung für die Arbeit der Interessenvertreter.

KAI BLIESENER/BEATE WILLMS

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