: Organhandel in großem Stil
Die britische Regierung legt einen Untersuchungsbericht über illegale Praktikenin Krankenhäusern vor. Der hauptbeschuldigte Pathologe ist untergetaucht
DUBLIN taz ■ Die Briten verlieren langsam das Vertrauen in ihre Ärzte. Nach den Skandalen um die hohe Todesrate bei Herzoperationen an Babys, der Entlarvung eines praktischen Arztes als Serienmörder und den regelmäßigen Kunstfehlern eines Gynäkologen ist nun herausgekommen, dass das Alder-Hey-Kinderkrankenhaus in Liverpool 2.080 Organe von 800 verstorbenen Kindern entnommen hat, ohne dass die Eltern zugestimmt hätten. Darüber hinaus bewahrte das Krankenhaus 400 abgetriebene Föten und Fehlgeburten auf.
Der Skandal war im Herbst 1999 durchgesickert. Gestern veröffentlichte der Sonderermittler Michael Redfern einen 600 Seiten starken Bericht, der so freimütig und kritisch ist, dass die Regierung ihn vorsichtshalber als offizielles Parlamentsdokument herausgab, um Schadenersatzklagen der betroffenen Ärzte zu entgehen.
Hauptbeschuldigter ist der niederländische Pathologe Dick van Velzen, der von 1988 bis 1995 in Alder Hey arbeitete. Van Velzen ist inzwischen untergetaucht. Er wird auch von der kanadischen Polizei per Haftbefehl gesucht, weil man in einer Lagerhalle in Halifax in Nova Scotia eine umfangreiche Organsammlung gefunden hat. Van Velzen arbeitete dort bis 1998 an einem Kinderkrankenhaus. Er behauptete, die Organentnahme sei zu Forschungszwecken geschehen, doch in Wahrheit wurde in Halifax oder Alder Hey kaum Forschung betrieben.
Tatsächlich sind Teile der Organe, nämlich die Thymusdrüsen, von Alder Hey an den französischen Pharmakonzern Aventis Pasteur verkauft worden. Das Unternehmen benötigte die Drüsen für ein Medikament gegen Anämie. Gesundheitsminister Alan Milburn sagte: „Das ist eine weitere erschütternde Nachricht für die Eltern von Kindern, die in Alder Hey behandelt worden sind.“ Er fügte jedoch hinzu, dass der Verkauf bereits 1993 eingestellt worden sei, weil das Krankenhauspersonal diese Praxis für nicht ethisch hielt.
Entnommen wurden die Organe jedoch weiterhin, und van Velzen war nicht der Einzige. In britischen Krankenhäusern werden 50.000 Organe gelagert.
Die betroffenen Eltern verlangen nun die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen. Milburn sagte: „Die Tage sind vorbei, in denen der staatliche Gesundheitsdienst wie eine Geheimgesellschaft agieren konnte. Er muss sich das Vertrauen der Patienten verdienen und muss um das Einverständnis der Verwandten von Verstorbenen ersuchen.“ RALF SOTSCHECK
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