zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Hochspringer

Prisenfest und elchteststabil

Der Homo kaenguruensis ist ein widersprüchlicher und manchmal bedauernswerter Gesell. Seine Sprünge hoch hinaus sind eigentlich ein lobenswert ehrgeiziges und symbolisches Unterfangen. Da aber die Erdanziehungskraft erklärter Feind auch des Homo kaenguruensis ist, fällt er überaus schnell wieder herunter. Indes hat er dies zu akzeptieren gelernt und hält deshalb stets dicke Matten bereit. Meist trifft er sie auch, plumpst dann erschöpft, spannungslos und sackartig hinein und ist froh, dass er nicht mehr auf Sand landen muss wie noch ein paar Hüpfgenerationen zuvor.

Auch jenseits seiner Käferästhetik beim Landen gilt dem Homo kaenguruensis unser großer Respekt. Bis zu einen halben Meter über Körperhöhe zu hüpfen, ist beachtlich – und athletische Antwort auf ein schweres Schicksal! Denn was sollen Menschen, die schon früh im Leben mannequinartige Storchenbeine an sich wachsen sehen, auch anderes machen als Tennis spielen wie Michael Stich oder eben Hochspringer werden?

In alten Forschungsberichten ist vom Hochweitsegler noch nicht als kaenguruensis die Rede. Denn früher wählten viele als Homo forfex den Scherensprung und Scherkehrsprung, was einen noch heute wundern lässt, dass Menschen mit dieser archaischen Sprunghektik über zwei Meter Höhe unter sich ließen. Dann wurde der Hochspringer mutiger und mutierte kopfüber zum Homo waelzeris; dem Tauchwälzer, was Russen und Amerikaner nicht aussprechen können und deshalb Straddle oder Stradlik dazu sagen. Der Sowjetbursche Valeri Brumel wollte einst seinen Sputnik-Vorbildern hinterherfliegen und kam in den 60ern bis auf Weltrekordhöhen.

Der heute übliche Fosbury-Flop ist ein Bewegungsablauf, der in der Natur sonst völlig unbekannt ist. Wahrscheinlich würde dieser feine Topflop bis heute von jedem Windkanalforscher, Orthopäden und Sprachwissenschaftler verlacht, wenn nicht in Mexiko 1968 der US-Boy Richard „Dick“ Fosbury aufgetaucht wäre. Durch die Höhenluft verlor er alle Selbstkontrolle, geriet beim Anlauf ungewollt in eine Kurve, sprang zur Not halt rückwärts und wurde Olympiasieger. Meine Kollegen aus der seelenkundlerischen Fakultät vermuten, Flopbury habe eine Phobie vor der Latte gehabt (und deshalb einfach nicht hingucken können) oder bei konventionellen Sprungstilen Angst um seine eigene.

Nach Pionier Fosbury haben es alle rückwärts gemacht und springen heute bis 2 Meter 45 wie Javier Sotomayor. Der Kubaner braucht dabei schon mal ein paar Prisen als inneres Katapult (Homo kaenguruensis daumens). Entwicklungsevolutionär ist es überaus interessant, dass der Hochspringer mit mehreren, völlig verschiedenen Stilen fast gleich hoch kommt. Man stelle sich das vor für Bewegungen wie Speerwerfen oder Laufen.

Zuschauer mögen den Homo kaenguruensis: Sein zappeliges Herumtrippeln beim Anlauf, seine putzigen Gräserwürfe zum Windtest, seine elchteststabile Kurvenlage, sein trotziger Stampfer als letztem Schritt. Vor allem die mondsichelartige Körperverschlingung im Rückenbereich, wie sie sonst nur die Gummi-Mädchen im chinesischem Staatszirkus hinkriegen, hat noch jeden beeindruckt.

Traditionell hat der Homo kaenguruensis in Deutschland eine hohe Verbreitungsdichte, in einem Land also, das schon immer hoch hinaus wollte, manchmal zu hoch. Sporthistorisch ist die deutsche Hochsprunghochkultur weiblich: Die ostdeutsche Kaenguruensin Rosemarie Ackermann ließ als erste Frau zwei Meter unter sich. Und im Westteil war es Ulrike Meyfarth, die 1972 in München, weil sie als 16-Jährige noch ziemlich orientierungslos war, einfach mal cool mithüpfte und plötzlich ganz allein im Wettbewerb war. Zum Trost bekam sie die Goldmedaille und lachte so sehr, dass sie alle mochten.

Später fielen kaenguruanige Männer auf wie Dietmar Mögenburg, der nur aus Beinen bestand, oder Carlo Thränhardt, der die gesamte Südeifel überflog, um sich von seinem Bruder Bernd zu distanzieren. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte, mehr eine vom Abtauchen, und noch nicht mal mit Tiefgang statt Hochsprung.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

BERND MÜLLENDER

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 57, ist Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.