: „Es ist so abwegig“
Parteienforscher Morlok hofft, dass die nächste Instanz die CDU doch noch zur Kasse bittet
Interview PATRIK SCHWARZ
taz: Das Gericht hat der CDU bescheinigt, es komme nicht drauf an, was in ihrem Rechenschaftsbericht drinsteht, solange sie ihn nur pünktlich abgibt. Wie kommen die Richter auf diese Idee?
Martin Morlok: Das frage ich mich auch. Ich war völlig überrascht von dem Urteil. Stellen Sie sich einen Studenten vor, der Bafög beantragt. Wenn der die Hälfte seiner Scheine gefälscht hat, kann er auch nicht sagen, ich habe aber alle Unterlagen eingereicht.
Juristische Expertise und der gesunde Menschenverstand führen offenbar zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hat das Gesetz eine Lücke gelassen?
Vor der Urteilsfindung hätte ich mit Nein geantwortet. Aber die Richter haben offenbar eine juristische Fantasie, um die ich sie fast schon wieder beneide.
Noch mal: Was ist in den Köpfen der Richter vorgegangen?
Das weiß ich natürlich nicht, zumal die Begründung noch aussteht. Aber die Richter konnten zu dieser extremen Entscheidung nur kommen, weil sie den verfassungsrechtlichen Hintergrund ausgeblendet haben. Das Grundgesetz fordert von den Parteien, öffentlich Rechenschaft abzulegen. Man darf deshalb das Parteiengesetz nicht so auslegen, dass es den Zweck der Transparenz sabotiert – sonst wird das Instrument stumpf.
Die Bundes-CDU hat im Verfahren argumentiert, sie wolle nicht für die Sünden der Hessen-CDU verantwortlich sein.
Aber ich bitte Sie! Erstens, in der Bundes-CDU sitzt der hessische Landesvorsitzende Roland Koch an prominenter Stelle. Zweitens, der Ansprechpartner des Bundestagspräsidenten ist die Bundespartei. Sie bekommt schließlich auch das Geld aus der Staatskasse. Die Pressemitteilung des Gerichts zeigt außerdem, dass die Richter diesem Argument der CDU keine Bedeutung beigemessen haben.
Sie raten Herrn Thierse zur Klage?
Selbstverständlich. Die Entscheidung vom Mittwoch ist so abwegig, dass ich fest damit rechne, dass sie von der höheren Instanz wieder kassiert wird.
Und wenn nicht?
Dann kann man das Parteiengesetz vergessen. In diesem Fall könnte jeder in seinen Rechenschaftsbericht reinschreiben, was er will, solange nur die Überschrift stimmt.
Die Union fordert bereits eine Neufassung des Gesetzes.
Diese Forderung gab es ja letztes Jahr auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre schon einmal. Mir scheint darin ein Ablenkungsmanöver zu liegen. Das Problem ist nicht das Parteiengesetz, sondern seine Auslegung.
Bürgerinitiativen fordern, von dem Geld, das Thierse der CDU vorenthalten will, die Zivilgesellschaft zu stärken, statt es unter den anderen Parteien aufzuteilen.
Was aus der Staatskasse kommt, sollte in die Staatskasse zurückfließen. Dann kann das Parlament über die Vergabe entscheiden. Sonst könnte ja jeder kommen: Ich freue mich natürlich auch, wenn das Institut für Parteienrecht plötzlich in den Genuss von 41 Millionen kommt.
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