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„Gib' mir mal den Lapis“

Wenn Ricardo zu Ricardinho wird: An der Deutsch-Portugiesischen Grundschule in der Neustadt lernen Erstklässler zwei Sprachen – und dass es kulturelle Vielfalt gibt  ■ Von Sandra Wilsdorf

Zwei Stunden am Tag wird aus Lukas ein Lukasinho, aus Ricardo ein Ricardinho und aus Nicole eine Nicolinha. Dann rennen die Kinder durcheinander, schütteln sich gegenseitig die Hände und begrüßen einander mit „Hola“ und „ihren niedlichen Namen“.

In der deutsch-portugiesischen Grundschule in der Neustadt lernen seit September die Kinder der Klasse 1c Deutsch und Portugiesisch. Und auch in diesem Sommer soll es wieder eine bilinguale erste Klasse geben. Die Kinder müssen nicht aus dem Bezirk kommen, die Anmeldefrist läuft noch bis Ende der kommenden Woche.

Neben den normalen Fächern, die fast ausschließlich auf Deutsch unterrichtet werden, haben die Kinder jeden Tag zwei Stunden zweisprachigen Unterricht mit zwei Lehrerinnen: Rosa Gomes, die mit ihnen überwiegend Portugiesisch spricht, und Silvia Baedeker, die überwiegend Deutsch spricht, aber auch Portugiesisch studiert hat.

„Wer will die Geschichte von der Hexe Mimi erzählen, die wir in der letzten Stunde angefangen haben?“ Nicole möchte: „Auf Deutsch oder Portugiesisch?“ Wie sie möchte. Sie beginnt in der neu erlernten Sprache, unterbricht sich nach einer Weile – „aber das kann ich jetzt nur auf Deutsch“ – und erzählt weiter, wie Mimi keine Lust mehr auf den Winter hat und sich deshalb wohl jetzt Sommer zaubern will.

Nur wenige Kinder können schon so rasant zwischen beiden Sprachen wechseln. Einige haben portugiesische, brasilianische oder kapverdische Eltern oder Elternteile, andere sprechen zu Hause eine ganz andere Sprache und wieder andere haben deutschsprachige Eltern, die ihrem Kind so eine zusätzliche Sprache schenken wollen.

Die Lehrerinnen wechseln sich ab. Rosa Gomes liest auf Portugiesisch, wie es mit Mimi weiter geht. „Wer von denen, die erst in der Schule Portugiesisch lernen, hat etwas verstanden?“ Schuh, Hut, Stuhl, Zauberstab haben die Kinder herausgehört. Silvia Baedeker liest den gleichen Teil auf Deutsch.

„Am Anfang waren die deutschen Kinder durcheinander, aber jetzt verbinden sie mich mit Portugiesisch und akzeptieren es, auch wenn sie noch nicht alles verstehen“, erzählt Rosa Gomes. Sie freut sich über den spielerischen Umgang, der sich in Sätzen wie „Gib' mir mal den Lapis“ (Stift) ausdrückt. Bis zur vierten Klasse sollen alle Kinder so gut sein, dass sie dem Sachunterricht folgen können, der dann komplett auf Portugiesisch sein wird.

Außerdem sollen sie nicht weniger wissen als die Gleichaltrigen an anderen Schulen. Das entgegnet Norbert Voigt, Abteilungsleiter Grundschule der Rudolf-Roß-Gesamtschule, auf die Bedenken, am Ende könnten die Kinder nichts richtig – oder vielleicht ein biss-chen Fremdsprache, aber kein Mathe: „Wir machen das normale Regelschul-Pensum und obendrauf Portugiesisch.“ Der Stundenplan sei kompakter, die Stunden, die zur freien Gestaltung zur Verfügung ständen, gingen beispielsweise in die Zweisprachigkeit.

Voigt ist ein Fan des Modells: „Es ist auch für die deutschen Kinder ein großer Gewinn, sie erfahren früh, dass es außer Deutsch andere Sprachen gibt, die man lernen kann.“ Und sie würden für Kulturen sensibilisiert. Voigt ist sicher, dass ihnen auch das Englischlernen, dass wie an allen Hamburger Schulen auch hier in der dritten Klassen beginnen wird, einfacher fällt.

Die Kinder wachsen mit der Erkenntnis auf, dass es kein Handikap ist, nicht Deutsch als Muttersprache zu haben. Wenigstens zwei Stunden am Tag macht genau das sie überlegen. Die anderen Kinder wiederum erleben den Wert ihrer Sprachkenntnisse und schöpfen daraus Selbstbewusstsein. Ein Beispiel dafür sind die deutsch-brasilianischen Zwillinge: Weil die immer gehänselt wurden, wenn sie untereinander Portugiesisch sprachen, hatten sie das völlig eingestellt. Erst seit sie in der Schule sind, sprechen sie mit ihrem Vater wieder Portugiesisch.

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