Unterm Hammer

Wenn in der Eifel am 30. April die unverheirateten Frauen von der männlichen Dorfjugend ersteigert werden, haben weibliche Wesen keinen Zutritt. Eigentlich. Doch unserer Autorin gelang es, zu der rituellen Auktion als Beobachterin zugelassen zu werden

von MARION MÜLLER

„Da jittet nur een Problem – dein Geschlecht“, erklärt mir im singenden Tonfall des Eifler Platt der Vorstand eines Junggesellenvereins im nördlichen Ahrtal. Dass mit meinem Geschlecht irgendetwas nicht in Ordnung sei, wurde mir noch nie so häufig und so direkt mitgeteilt wie während meiner Recherche über den Junggesellenbrauch der „Mailehenversteigerung“. Bei diesem den durchschnittlichen modernen und politisch korrekten Menschen der westlichen Hemisphäre bizarr anmutenden Brauch werden – traditionell am Tag vor dem 1. Mai – die ortsansässigen unverheirateten Frauen unter Ausschluss der (insbesondere weiblichen) Öffentlichkeit von den ledigen Männern des Dorfs käuflich erworben.

Das Szenario dieses ländlichen Paarbildungsbrauchs, der im heutigen Deutschland vor allem im Gebiet rund um die Ahr noch gepflegt wird, dürfte der geschlechterpolitische Albtraum aller Feministinnen sein. In einem letzten Reservat männlicher Exklusivität, von dem Frauen per Vereinsstatuten und unter dem Schutzmäntelchen der Brauchtumspflege ausgeschlossen sind, werden Männerfantasien wahr: Genau wie auf dem Viehmarkt und im Pornofilm stehen jedem Mann mehrere Exemplare zu. Für „eventuelle Mängel der Ware beim Kauf“ wird allerdings keinerlei Haftung übernommen, erklären die Statuten des JGV Meckenheim-Altendorf.

Der Vorstand dieses Vereins ist schließlich auch der erste, der mir gestattet, beim alljährlichen Ritual dabei zu sein. Trotz skeptischer Blicke erscheint dem Vereinsvorsitzenden eine nicht teilnehmende Beobachtung meinerseits vertretbar. Eine weitere Zusage, dass ich als quasiwissenschaftliche Beobachterin den geheimnisvollen Ritualen und männerbündischen Festivitäten beiwohnen darf, erhalte ich von einem zweiten Verein etwas weiter südlich, im Kreis Brohl-Lützing.

Entsprechend den heutigen sozialwissenschaftlichen Annahmen über die Geschlechterdifferenz ist jeder von uns – ohne es zu merken – beinahe permanent mit der Darstellung seines Geschlechts in sozialer Interaktion und rituellen Handlungen beschäftigt. Mein Plan war es nun, nach diesen Theorien des „Doing gender“ die soziale Konstruktion von Geschlecht in einer reinen Männergruppe zu beobachten. Was verstehen Männer unter Männlichkeit, wenn keine Frauen anwesend sind, zu deren Geschlecht sie sich kontrastieren können? Und ist es nicht sogar eine primäre Funktion von Männerbünden, der nachwachsenden Generation beizubringen, was einen „echten“ Mann ausmacht? Aus dieser Perspektive wird der ländliche Junggesellenverein zum zentralen Ort der geschlechtsspezifischen Sozialisation.

Die erste Station auf meiner Eifeltour ist also das nordrhein-westfälische Meckenheim-Altendorf. Das von mir beobachtete Feld – die Junggesellen – ist bezüglich meiner Anwesenheit reichlich skeptisch, andererseits fühlen sich die Herren aber auch geschmeichelt von so viel Interesse. Bei den insgesamt sehr jungen Vereinsmitgliedern dominiert offenbar ein extrem einseitiges und stereotypes Bild von Männlichkeit: „Mann“ trägt Tarnkleidung, Springerstiefel und Bomberjacken und dazu einen mehr oder weniger rasierten Schädel. Darüber, dass ein solches Äußeres auch schon mal missverstanden werden kann und sie in „irgendeine rechte Ecke“ gestellt worden seien, wundern sich die Jugendlichen. Auch die Accessoires dokumentieren eigentümlich übertriebene Maskulinität und überzeugen selbst den ungeübtesten Beobachter davon, dass es sich hier um „echte“ Männer handeln muss. Übergroße Messer, zackige Handsägen, exorbitant lange Stabtaschenlampen, die in eigens dafür vorgesehenen Futteralen am Koppel befestigt sind (am hellichten Nachmittag!), schließlich die seit Clinton und Schröder obligaten dicken Zigarren sind für diese Jugendlichen unerlässliche Attribute von Macht und Potenz. Hier scheint die Darstellung von Geschlecht noch nicht selbstverständlich in Habitus und Auftreten integriert zu sein. Es wird noch „geübt“.

Meine Bemühungen, den Lauf der Ereignisse durch meine Anwesenheit möglichst wenig zu beeinflussen, sind vergeblich. Zwischen lautstarkem Rülpsen und Witzen über sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale treffen mich immer wieder befangene Blicke, wobei auch ich mir unsicher bin, ob von mir nun Missbilligung oder Anerkennung erwartet wird.

Tatsächlich wirkt ihre Darstellung von Männlichkeit künstlich, beinahe wie eine Persiflage. „Doing gender“ ist eine sehr voraussetzungsvolle Aufgabe, deren aktive Leistung für das Gegenüber nicht erkennbar sein darf. Der Konstruktionscharakter dieser Darbietung von Geschlecht, deren „kunstvolle Natürlichkeit“, wie der Soziologe Stefan Hirschauer es formuliert, darf keinesfalls deutlich werden, sondern muss bereits im Vollzug unkenntlich gemacht werden. Das will den Altendorfer Jungs trotz intensiver Anstrengung einfach nicht gelingen.

Im Vereinslokal – einem alten, etwas heruntergekommenen Kegelraum im Ambiente der Fünfzigerjahre –, zwischen Kegeltrophäen und immer dichter werdenden Rauchwolken, nähert sich die Veranstaltung mittlerweile dem vermeintlichen Höhepunkt: der Versteigerung der Mailehen. Eingequetscht zwischen Hintertür und Waschbecken, sitze ich auf dem mir zugewiesenen Platz, gleich neben dem Feuerlöscher. Die rund zwanzig Jugendlichen, der Pubertät noch nicht vollständig entkommen, sitzen an einer eigentümlich spitz zulaufenden Tafel. Die wenigen Fenster, ein Vorhang als Raumteiler, der das wenige hereinfallende Licht auch noch abfängt, und die Rauchschwaden etlicher Zigarren sollen trotz des strahlenden Sonnenscheins draußen für ein bisschen Clubatmosphäre sorgen. Die Versteigerung der Mädchen aus dem Dorf ist große Geheimsache und die stets um einen männlichen Eindruck bemühten Jugendlichen untersagen mir strengstens jede Ton- oder Bildaufzeichnung des Geschehens, auch Namen sollen nicht genannt werden. Und auf gar keinen Fall dürfen die Mädchen erfahren, wie viel für sie geboten wurde und für welche Summe sie schließlich ersteigert wurden.

Während in immer kürzer werdenden Abständen Biernachschub geordert wird, kommen die unverheirateten Mädchen des Orts unter den Hammer. Dabei wird jede Einzelne durch Gejohle und kurze Beschreibungen kommentiert. Nach dem Aufruf wagt niemand eine unbedachte Bewegung, die fälschlich als Gebot interpretiert werden könnte. Jeder kann mehrere Mädchen ersteigern, ganz nach Laune und Geldbeutel. Verpflichtungen sind damit noch nicht verbunden. Erst wenn man der Auserkorenen „einen Maibaum stellt“, muss man sich mindestens zum Kaffeetrinken mit ihr sehen lassen.

Mädchen, die niemand ersteigern will, kommen in eine Art Konvolut – den „Rummel“ oder die „Bütt“ –, das am Schluss zu einem Sonderpreis „verkloppt“ wird, ganz nach der Devise „Zehn zum Preis von einer“. Die Frau, für die das höchste Gebot eingeht, wird Maikönigin. Das darf ich allerdings nicht mehr miterleben. Meine Feldforschung wird unerwartet und ziemlich bestimmt unterbrochen: Die Jugendlichen scheinen zu verunsichert durch meine Anwesenheit. Ich werde rausgeschmissen.

Zum Glück ist es erst 17 Uhr, und so fahre ich also ein Stück den Rhein hinunter in ein kleines rheinland-pfälzisches Dorf in der Nähe von Niederzissen, zum nächsten Junggesellenverein. Im Vereinslokal bei der 88-jährigen Wirtin werde ich nach relativ kurzem gegenseitigem „Beschnüffeln“ freundlich aufgenommen. Ich habe jetzt die Taktik geändert. Um bessere Einsicht in mein Untersuchungsobjekt gewinnen zu können, gebe ich etwas von der zuvor ganz bewusst aufrechterhaltenen Distanz auf. Im wissenschaftlichen Jargon nennt man das „going native“, man könnte auch sagen, ich „volkstümele“. Auch mein männlicher Begleiter, der eigentlich für Foto- und Tondbandaufnahmen zuständig ist, fängt schon an, in geselliger Runde Bier zu trinken.

Unsere geänderte Vorgehensweise wird schließlich von Erfolg gekrönt. Die Vereinswirtin beginnt bald, Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten zu erzählen: zum Beispiel von dem Junggesellen, der einmal zweitausend Mark für eine Frau aus dem Dorf geboten hat. Um diesen Betrag aufzubringen, hätte er dann aber eine Kuh verkaufen müssen, und das war es ihm dann doch nicht wert.

Was dann kommt, erinnert noch mehr als in Altendorf an einen Viehmarkt. Die Männer, die hier agieren, sind in der Mehrzahl um die dreißig Jahre oder älter und sind sich ihres Geschlechts um einiges sicherer als die Altendorfer Nachbarjungs. Die Versteigerung wirkt wesentlich unverkrampfter, die Männer wissen genau, was sie wollen, und müssen ihre Geschlechterrolle nicht unnötig dramatisieren. Meine Anwesenheit bringt hier niemanden aus dem Konzept, ganz im Gegenteil: Zunächst sehr zu meinem Leidwesen werde ich immer mehr in das Geschehen hineingezogen.

Ich sitze an einem Tisch mit Tino und Olaf. Olaf ist Bauarbeiter und findet mich „irgendwie geil“, vor allem meine Haare, da wird dann auch schon mal hingelangt. Er ist kein Mitglied im Verein, da er als Geschiedener streng genommen kein Junggeselle ist. Genau wie ich ist er eigentlich nur Gast. Mit den Regeln nimmt man es hier nicht so genau. Tino ist Viehwirt, er möchte gern meine Telefonnummer haben. Auch ist er weniger an der Versteigerung als an mir interessiert. Für mich, beteuert Tino, würde er sofort fünfhundert Mark bieten. Und im Notfall auch eine Kuh verkaufen.

Mein Begleiter, dessen bloße Anwesenheit mich eigentlich vor derartigen Übergriffen bewahren sollte, wird immer nutzloser, da er mittlerweile jede neutrale Außenperspektive verloren zu haben scheint und bierselig in das Junggesellenfeld abgetaucht ist. Auch meine Versuche, nicht in die interaktive Konstruktion verwickelt zu werden, scheitern kläglich. Männlichkeit wird ständig im Kontrast zu meiner Geschlechtszugehörigkeit demonstriert, und ich kann mich der permanenten Thematisierung meiner Weiblichkeit nicht länger entziehen: Ich werde rot und ertappe mich mehrfach beim heftigen Flirten. Wegen des starken Dialekts verstehe ich die meisten Witze und schlüpfrigen Andeutungen nicht. Aber die Männer am Tisch sorgen schon dafür, dass ich nichts verpasse. Ich stecke bis über beide Ohren in der stereotypen Darstellung dümmlich-unwissender Weiblichkeit, die geradezu nach männlicher Aufklärung lechzt – und alle Beteiligten sind zufrieden.

Als ich mich irgendwann in den frühen Morgenstunden nach meinem Begleiter umsehe, traue ich meinen Augen nicht: Ein ehemals besonnener, etwas lustloser Mann im vierten Lebensjahrzehnt, den ich als emanzipiert beschreiben würde und der auch schon mal die Emma liest, hat beim zehnten Bier mit dem Zählen aufgehört, ist Mitglied des JGV geworden (einschließlich Feuertaufe, bestehend aus einem hochprozentigen Mixgetränk) und hat für 210 Mark gerade eine Frau ersteigert. „Zum Ierschte, zum Zweete und zum Dritte!“

MARION MÜLLER, Jahrgang 1973, studiert in Mainz Soziologie und wohnt in Wiesbaden